Irische Schriftsteller

Seamus Heaney – irischer Autor und Literatur-Nobelpreisträger

Seamus Heaney
Written by Monika Dockter

Der in Nordirland geborene Seamus Heaney war einer der größten englischsprachigen Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Gedichtbände und literaturkritischen Schriften wurden in viele Sprachen übersetzt und bescherten ihm im Jahr 1995 den Literatur-Nobelpreis. Damit ist er der vierte Ire, der diese ehrenvolle Auszeichnung jemals gewann und befindet sich in der Gesellschaft von früheren literarischen Größen wie William Butler Yeats und Samuel Beckett.  Außerdem lehrte Heaney an Elite-Universitäten wie Oxford und Harvard und gab zahlreiche Anthologien (Sammlungen literarischer Texte) heraus. Und all dies als Sohn eines einfachen irischen Farmers.

Kindheit und Ausbildung

Denn geboren wurde Seamus Heaney 1939 in einem kleinen Dorf im nordirischen County Londonderry. Sein Vater Patrick war Farmer und Viehhändler, seine Mutter Margaret Kathleen McCann stammte aus einer Arbeiterfamilie. Seamus war das älteste Kind der Familie, ihm folgten acht weitere Jungen und Mädchen. Einer der Brüder starb im Alter von vier Jahren bei einem Unfall, und Seamus widmete ihm zwei seiner späteren Gedichte.

Die Familie war katholisch, und obwohl er in Nordirland geboren und erzogen worden war, betrachtete Heaney sich sein Leben lang durch und durch als Ire, nicht als Brite. Nach der Primary School besuchte der Zwölfjährige ein katholisches Internat, für das er sich ein Stipendium erarbeitet hatte. Hier erlernte er unter anderem die lateinische und die irische Sprache und schrieb erste Gedichte.

Nach seinem Schulabschluss studierte Seamus in Belfast Anglistik. Dabei stieß er auf ein Werk von Ted Hughes (englischer Schriftsteller), das ihn dazu animierte, Lyrik zu schreiben. „Plötzlich wurde die zeitgenössische Lyrik zur Essenz meines eigenen Lebens“, so beschrieb er selbst diesen Zustand. Im Jahr 1961 beendete er sein Studium mit einem First Class Honours degree.

Erste Veröffentlichungen des Poeten Seamus Heaney

Autor Seamus Heaney

Sean O’Connor, cropped by Sabahrat, Public domain, via Wikimedia Commons

In den folgenden Jahren unterrichtete Seamus Heaney an einer Schule in Belfast und begann 1962, mit dem Schulleiter Michael McLaverty als Mentor, erste eigene Gedichte zu veröffentlichen.  Außerdem schloss er sich einer Schriftstellergruppe namens Belfast Group an und begegnete Marie Devlin, seiner künftigen Frau. Marie Devlin war selbst Schriftstellerin und veröffentlichte beispielsweise eine Sammlung von irischen Mythen und Legenden.

Die beiden heirateten im August 1965 und bekamen zwei Söhne: Michael wurde 1966 geboren, Christopher 1968. Doch das Jahr 1965 brachte noch ein weiteres bedeutendes Ereignis mit sich: Die Veröffentlichung von Seamus Heaneys erstem Buch mit dem Titel Eleven Poems. Schon 1966 folgte eines seiner bedeutendsten Werke, Death of a Naturalist. Diese Lyriksammlung erntete viel öffentliche Aufmerksamkeit und gewann mehrere Literaturpreise. Mit Door into the Dark folgte 1969 ein weiteres großes Werk. Bei beiden Bücher stehen die Schönheit und die Details ländlichen Lebens im Mittelpunkt.

Death of a Naturalist, das erste große Werk

Weil diese erste große Lyriksammlung so viel Aufmerksamkeit erregte, stelle ich Euch hier eines der bekanntesten Gedichte daraus vor. Es heißt „Digging“. (Der Text besteht nur aus Auszügen des Gedichtes, das gesamte findet ihr hier.

Between my finger and my thumb   

The squat pen rests; snug as a gun.

Under my window, a clean rasping sound   

When the spade sinks into gravelly ground:   

My father, digging. …

By God, the old man could handle a spade.   

Just like his old man. 

My grandfather cut more turf in a day

Than any other man on Toner’s bog….

The cold smell of potato mould, the squelch and slap

Of soggy peat, the curt cuts of an edge

Through living roots awaken in my head.

But I’ve no spade to follow men like them.

Between my finger and my thumb

The squat pen rests.

I’ll dig with it.

Die Verse beschreiben die Beziehung eines Dichters zu seinem Vater und wie der Sohn mit seiner Berufswahl einen so ganz anderen Weg einschlägt als der Vater und dessen Vater vor ihm. Doch bei aller Verschiedenheit ihrer Arbeit haben die drei Generationen doch auch ein Gemeinsames: Sie alle verrichten ehrliche Arbeit, sie „graben“ und holen damit Wertvolles an die Oberfläche, nur eben mit unterschiedlichem Werkzeug. Die einen mit dem Spaten, die anderen mit dem Stift in der Hand.

Eine von Heaney selbst vorgetragene Version dieses Gedichtes:

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Seamus Heaney erlangt weltweiten Ruhm

Neben seiner eigentlichen schriftstellerischen Tätigkeit unterrichtete Heaney ab 1966 an verschiedenen Universitäten Fächer wie Poetik, moderne englische Literatur und Rhetorik. Zeitweise lebte und arbeitete der irische Professor auch als Gastdozent an amerikanischen Universitäten wie der University of California und der Eliteuniversität Harvard. Von 1989 bis 1994 hielt Heaney außerdem den Lehrstuhl der Poetik im britischen Oxford inne. Da diese Tätigkeit nicht unbedingt auch seine Anwesenheit erforderte, reiste er zwischen seiner Heimat Irland und den Vereinigten Staaten umher, unter anderem wegen seiner öffentlichen Lesungen.

Die Karten für diese Lesungen waren überaus begehrt, sodass die Menschen selbst eine weite Anreise und stundenlanges Schlangestehen dafür in Kauf nahmen. Seine Gedichte, die oft die tiefe, stille Schönheit speziell der irischen Natur und das Wunder gerade in den Angelegenheiten des Alltags thematisieren, fanden ihren Weg direkt ins Herz der unzähligen Zuhörer und Leser.

Einen neuen Höhepunkt erreichte die Bekanntheit des Dichters, als er 1995 den Nobelpreis für Literatur gewann.

Seamus Heaney und der Nobelpreis

Frankenthalerj, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Das Nobelpreiskomitee würdigte den irischen Dichter für seine „Werke von lyrischer Schönheit und ethischer Tiefgründigkeit, in denen sich das Wunder des Alltäglichen und eine lebendige Vergangenheit spiegeln“.

Zu dem Zeitpunkt, als ihm der Preis verliehen wurde, befand sich Seamus Heaney mit seiner Frau im Urlaub in Griechenland. Weder Journalisten noch seine Kinder konnten ihn dort mit der überwältigenden Nachricht erreichen. So erhielt er sie erst  zwei Tage später, als sein Flugzeug in Dublin landete. Auf die Frage, wie es sich anfühlte, sich gemeinsam mit W.B.Yeats, G.Bernard Shaw und Samuel Beckett im irischen Nobelpreishimmel zu befinden, antwortete er: „Es ist, als wäre ich ein kleiner Hügel am Fuß einer Gebirgskette. Du kannst dir nur wünschen, dieser Ehre gerecht zu werden. Es ist überwältigend.“

Später in seinem Leben, vor allem im Privaten, bezog sich Seamus diskreter Weise nur noch unter der Bezeichnung „the N thing“ auf die ehrenvolle Auszeichnung.

Seamus Heaneys weitere Laufbahn

Heaneys schriftstellerisches Schaffen beschränkte sich nicht allein auf Gedichte. Ab 1990 veröffentlichte er auch Stücke für die Theaterbühne, außerdem verfasste er neuenglische Übersetzungen des frühmittelalterlichen Heldenepos Beowolf und ähnlicher WerkeAls Literaturwissenschaftler veröffentlichte er darüber hinaus verschiedene Essays und Vortragssammlungen wie Preoccupations (1980) oder The Redress of Poetry (1995; Verteidigung der Poesie, 1996).

In seinem Essay Vom Fühlen in die Wörter beispielsweise erklärt er Dichtung als Weissagung. „Gedichte als Elemente von Kontinuität, mit der Aura und Authentizität archäologischer Funde … Dichtung also als Spatenstich, ein Spatenstich nach Funden, die sich am Ende als Pflanzen erweisen.“

Darüber hinaus spiegelt seine Tätigkeit als Herausgeber lyrischer Anthologien die große Leidenschaft, junge Autoren zu fördern und mithilfe eines dichterischen Umgangs mit Sprache lebenswichtige Empfindungen zu erhalten. I rhyme to see myself, to set the darkness echoing. (Ich dichte, um mich selbst zu sehen, um in der Dunkelheit ein Echo erschallen zu lassen), sagt er über sich selbst und seine Kunst.

Weitere Auszeichnungen des Dichters, sein Tod und Vermächtnis

Im Lauf seiner schriftstellerischen Tätigkeit gewann Seamus Heaney neben dem Nobelpreis noch zahlreiche weitere Preise und Auszeichnungen. Einer davon sei hier noch genannt: 2012 erhielt er mit dem Griffin Poetry Prize einen Preis für sein gesamtes Lebenswerk.

Zudem wurde im Februar 2004 an der Queen’s University in Belfast, an der er einst seinen ersten akademischen Abschluss erworben hatte, das Seamus Heaney Centre for Poetry eingerichtet.

irischer Autor S. Heaney

Glucksman Library, via Wikimedia Commons

Am 30. August 2013 verstarb Seamus Heaney im Alter von 74 Jahren. Nach der Begräbnisfeier in Dublin wurde er auf dem Friedhof der St. Mary’s Church in seinem nordirischen Geburtsort beigesetzt. Auf seinem Grabstein steht eine Zeile aus seinem 1992 entstandenen Gedicht The Gravel Walks:  Walk on air against your better judgement („lauf auf Wolken, obwohl du’s besser weißt“). Dieselbe Zeile hatte Seamus vor vielen Jahren anlässlich der Nobelpreisverleihung zitiert.

Hier, in seiner ehemaligen Heimat im County Derry, findet man heute zudem den Seamus Heaney HomePlace, ein Zentrum für Literatur und Kunst zum Gedächtnis des großen Poeten. Das Zentrum enthält eine Ausstellung über sein Leben und Werk und eine Bibliothek und veranstaltet zahlreiche inspirierende Events nicht nur zum Thema Literatur.

Vielleicht möchtet Ihr Euch bei der nächsten Irlandreise dort ja selbst ein Bild von dem großen irischen Autor machen…

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Über den Autor

Monika Dockter

Als Schriftstellerin bedeutet Irland für mich Inspiration in ihrer schönsten Form. Ich finde diese Inspiration in den Worten begnadeter irischer „Storyteller“, zwischen den verschlungenen Wurzeln einer uralten Eiche und auf der Brücke über einen Bach, dessen Wasser vom Torf so braun ist wie der Ginster am Ufer gelb…
Für die gruene-Insel.de zu schreiben betrachte ich als einmalige Gelegenheit, etwas von der für mich so faszinierenden Atmosphäre dieses Landes weiterzugeben – und zwar an eingefleischte Irlandfans ebenso wie an solche, die genau das einmal werden wollen.

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