Dublin 1920 – vier Jahre nach dem Osteraufstand war die Hauptstadt der Grünen Insel ein Schauplatz eines kräftezehrenden Kampfes um die Freiheit der Iren, der zunehmend brutalere Züge annahm. Der 21. November begann zunächst wie ein gewöhnlicher Sonntag. Ein Tag, den viele Dubliner mit der Familie verbringen. Das Gaelic Football Spiel am Nachmittag, in dem Dublin Tipperary im Croke Park Stadion gegenüber treten sollte, sorgte dafür, dass ein Hauch von Vorfreude durch die Straßen wehte. Niemand ahnte, dass diese Vorfreude dem lauten Hall Hunderter von Schüssen weichen würde, die insgesamt 29 Menschen ihr Leben kosten würden und dass dieser Blutsonntag 1920 in Dublin, als ein entscheidender Wendepunkt im Unabhängigkeitskampf in die Geschichte Irlands eingehen würde!
Inhaltsverzeichnis
Blutsonntag 1920: Die Hintergründe
Nachdem das Ende des 1. Weltkriegs den Beginn des irischen Abgeordnetenhauses „Dail Eireánn“ und der Amtszeit des ersten irischen Präsidenten markierte, empfanden die Briten die zunehmenden Alleingänge Irlands als Bedrohung. Um das rebellische Inselvolk erneut unter die Kontrolle der britischen Regierung zu bringen, gründete man die Söldnertruppe der sogenannten „Black and Tans“. Ein Kampfregiment, das in weiten Teilen aus Ex-Sträflingen bestand und mit brutaler Härte gegen die irische Bevölkerung vorging.
Neben den „Black and Tans“, die überwiegend die Zivilbevölkerung in Schach hielten; stationierten die Engländer ein weites Netzwerk an Spionage-Agenten in der irischen Hauptstadt. Mithilfe der dadurch gewonnenen Insider-Informationen sorgte der britische Geheimdienst dafür, dass die Engländer schon bald wieder die Überhand im Kampf gegen die Iren hatten.
Michael Collins und seine verhängnisvolle Entscheidung
Der berühmte irische Freiheitskämpfer Michael Collins war zu diesem Zeitpunkt nicht nur der Finanzminister der Irischen Republik, sondern zudem Vorsitzender des irischen Geheimdienstes. Ihm war der zunehmende Einfluss der Briten in der Hauptstadt bewusst. Das Jahr 1920 hatte bereits mehrere blutige Auseinandersetzungen gesehen, welche die Macht der Engländer in Dublin stärkten.
Als sich die Lage im November immer weiter zuspitzte und der englische Premierminister Lloyd George verkündete, dass er die mörderischen Iren am Kragen hat; entschied sich Collins dazu, alles auf eine Karte zu setzen. Gemeinsam mit Dick McKee plante er Mordanschläge an insgesamt 25 hochrangigen Agenten der sogenannten „Cairo Gang“ an verschiedenen Standorten in Dublin.
Eine Entscheidung, die das britische Volk und seine Regierung im besten Fall in einen Schockzustand versetzt; der dafür sorgen würde, dass die Machenschaften des Geheimdienstes eingestellt werden. Im schlimmsten Fall würde es jedoch den Tod vieler IRA Mitglieder und das Ende der Dubliner Brigade bedeuten. Ein Risiko, zudem sich Collins gezwungen sah!
Blutsonntag in Dublin: Was geschah
Der Morgen des 21. November 1920
Dass die IRA die Anschläge an einem Sonntag ausführte, war kein Zufall. An einem Sonntagvormittag vermutete man die britischen Agenten entspannt, unvorbereitet und nichts ahnend vorzufinden. Zudem sollte das bevorstehende Gaelic Football Spiel und das damit verbundene Menschenaufkommen, das Untertauchen der involvierten IRA Kämpfer vereinfachen.
Eine Truppe von rund 100 Mitgliedern der Dubliner Brigade machte sich gegen 9 Uhr morgens in Kleingruppen auf den Weg zu ihren Auftragsorten. An insgesamt 16 Orten in der Innenstadt Dublins fanden die irischen Freiheitskämpfer ihre Opfer teilweise noch im Schlafanzug vor. Der britische Captain William Newbury fiel den Schüssen der Iren bei einer misslungenen Flucht durchs Schlafzimmerfenster zum Opfer, während in einem Boardinghouse drei der sechs dort ansässigen britischen Agenten von den Kugeln getötete wurden. Insgesamt starben an diesem Morgen 15 Angehörige des britischen Militärs. Nicht alle von ihnen waren Mitglieder des Geheimdienstes. Unter den Attentätern befand sich unter anderem der spätere irische Taoiseach Sean Lemass.
Die Antwort der Engländer am Blutsonntag 1920
Die Mordanschläge auf den englischen Geheimdienst blieben nicht lange ungesühnt. Bereits wenige Stunden nachdem die letzte Kugel aus der Hand eines Iren gefeuert wurde, brachen Fahrzeuge der britischen Hilfstruppen in Richtung Croke Park auf. Ein Versuch der IRA das Gaelic Football Spiel, das dort am Nachmittag stattfinden sollte abzusagen und das Stadion zu evakuieren scheiterte.
Die Briten planten eine groß angelegte Razzia der Football-Fans nach Ende des Spiels. Zu diesem Zweck erhielten die „Black and Tans“ den Befehl das Stadion zu umstellen und per Lautsprecherdurchsage darauf hinzuweisen, dass alle männlichen Zuschauer beim Verlassen des Stadions durchsucht und befragt werden. So erhoffte man sich die Verantwortlichen der Anschläge auf den britischen Geheimdienst zu finden. Dazu kam es jedoch nie!
Das Massaker in Croke Park
Anstatt dem Befehl der Durchsuchung der Zuschauer folge zu leisten fielen rund 10 Minuten nach Anpfiff des Spiels die ersten Schüsse. Später versuchten die Engländer diese Schüsse als Verteidigung gegen vorherige Schüsse aus den Reihen der Iren zu rechtfertigen. Diese Behauptungen stellten sich jedoch als falsch heraus.
Zeugenaussagen zufolge stürmten die britischen Truppen das Stadion und eröffneten Feuer auf die nichts ahnende Menge. Das erste Opfer an diesem Nachmittag war ein elfjähriger Junge, der außerhalb des Stadions auf einen Baum geklettert war, um das Spiel zu beobachten. Er wurde von einem britischen Soldaten in die Schulter geschossen und erlag zwei Tage später seinen Verletzungen im Krankenhaus.
Innerhalb von nur 90 Sekunden feuerten die britischen Truppen der „Black and Tans“ 114 Munitionsladungen in die fliehende Menge. 90 Sekunden, in denen der Befehlshaber Major Edward Mills die Kontrolle über die ihm zugeteilten Streitkräfte verlor. 90 Sekunden, die 14 Menschen das Leben kosteten und bis zu 100 weitere verletzten!
Blutsonntag 1920: Die Opfer von Croke Park
Die tragische Realität dieser 90 Sekunden wird erst beim näheren Hinsehen richtig bewusst. Die Liste der Opfer umfasst nicht nur junge Männer, die an diesem Tag nichts Weiteres geplant hatten, als ihre Mannschaft anzufeuern; sondern zudem eine junge Frau, die sich fünf Tage vor ihrer Hochzeit gemeinsam mit ihrem Verlobten das Spiel ansah; sowie drei Kinder, für die ein Besuch im Stadion ein besonderes Highlight war!
14 Menschen, deren Schicksal und Namen bis heute unvergessen sind und für Gänsehaut sorgen – wie die berührende Gedenkrede von Brendan Gleeson 100 Jahre nach den Ereignissen des Bloody Sundays 1920 beweist.
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Jerome O’Leary (10)
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Das jüngste Todesopfer am Blutsonntag 1920 in Dublin war Jerome O’Leary. Der Sohn eines britischen Soldaten stand auf einer kleinen Mauer im Stadion, um das Geschehen auf dem Spielfeld besser im Blick zu haben. Er starb noch vor Ort.
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William Robinson (11)
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William Robinson hatte es sich auf seinem Ast in einem Baum vorm Stadion gemütlich gemacht, um das Spiel zu beobachten, als plötzlich mehrere Fahrzeuge vorfuhren. Bewaffnete Männer stürmten auf den Eingang zu Croke Park zu und eröffneten das Feuer. Einer der ersten Schüsse traf William in die Schulter, zwei Tage später erlag er seinen Verletzungen im Krankenhaus.
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John William Scott (14)
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Für John William Scott, der unmittelbar neben Croke Park aufwuchs, war ein Besuch im Stadion schon fast wie ein Nachmittag im heimischen Wohnzimmer. Der Kugelhagel an diesem Novembersonntag traf ihn mehrmals in die Brust. Seine Freunde trugen ihn in das Haus eines Nachbarn, wo er kurze Zeit später seiner Verletzung zum Opfer fiel. Berichten zufolge verwendete er seine letzten Worte dafür, nach seiner Mutter zu fragen.
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James Treehan (26)
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James und sein Bruder John wuchsen gemeinsam in Tipperary auf. Seit einigen Jahren lebten die beiden in Dublin und führten ein Pub. Als die Brüder an diesem Sonntagnachmittag das Pub schlossen und sich verabschiedeten; wussten sie nicht, dass einer von ihnen wenige Stunden später nicht mehr leben würde. James wurde auf der Flucht aus dem Stadion von den Menschenmengen zerquetscht. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
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Joe Traynor (20)
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Der Dubliner Joe oder Joseph Traynor war ein Anhänger der IRA und ein begeisterter Gaelic Football Fan, der den Sport zudem selbst ausübte. Als er am 21. November 1920 über eine Mauer aus dem Stadion fliehen wollte, trafen ihn zwei Schüsse in den Rücken. Nachdem man ihn zunächst in ein nahe gelegenes Haus gebracht hatte, starb er auf dem Weg ins Krankenhaus.
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Tom Ryan (27)
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Tom kam ursprünglich aus Wexford und war Mitglied der IRA. Trotz Warnungen der IRA ließ er es sich nicht nehmen das Spiel im Stadion zu besuchen. Während er dem verletzten Mick Hogan in seinen letzten Momenten beistand, wurde er vom Kugelhagel tödlich verletzt und starb noch am gleichen Tag im Krankenhaus.
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Jane Boyle (29)
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Am letzten Wochenende vor ihrer Hochzeit nahmen sich Jane und ihr Verlobter Daniel eine Auszeit von den Festtagsvorbereitungen, um das Dublin – Tipperary Spiel im Stadion zu verfolgen. Das Paar versuchte aus dem Stadion zu fliehen, sobald die Soldaten in die Ränge stürmten und feuerten. Jane wurde dabei von Schüssen in den Rücken getroffen und starb noch am selben Tag. Sie wurde in ihrem Hochzeitskleid beerdigt.
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Patrick O’Dowd (57)
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Dem Familienvater, der mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Dublin lebte, gelang es zunächst sich an der Mauer des Stadions in Sicherheit zu bringen. Während er anderen Menschen half das Stadion zu verlassen, traf ihn eine tödliche Kugel. Er starb noch vor Ort und ist mit 57 Jahren das älteste Opfer des Massakers.
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James Burke (44)
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James, Vater von fünf Kindern ist eines der beiden Opfer, die nicht durch eine Kugel starben, sondern der Massenpanik zum Opfer fielen. Er wurde in unmittelbarer Nähe des Ausgangs von der Menge erdrückt und starb an Herzversagen.
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Michael Feery (40)
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Bei seinem Fluchtversuch wurde Michael von einer Kugel im Oberschenkel getroffen, die ihm letztendlich auch das Leben kostete, nachdem er am Zaun von Croke Park hängen blieb und dort verblutete. Getötet von britischen Soldaten, mit denen er nur wenige Jahre zuvor im 1. Weltkrieg Seite an Seite gekämpft hatte.
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Mick Hogan (24)
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Im Gegensatz zu den anderen Opfern war Mick an diesem Tag nicht in den Reihen der Zuschauer zu finden. Er war Kapitän des Tipperary Teams und setzte sich auf dem Spielfeld für seine Mannschaft ein, als die ersten Schüsse fielen. Ein Schuss traf ihn noch auf dem Spielfeld in den Rücken. Er ging auf dem Rasen zu Boden und starb im Beisein von Tom Ryan.
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James Matthews (38)
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James lebte gemeinsam mit seinen drei Töchtern und seiner schwangeren Frau in Dublin. Er wurde von einer Kugel im Bein getroffen und erlag noch vor Ort seiner Verletzung. Drei Monate später kam seine vierte Tochter auf die Welt!
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Tom Hogan (19)
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Nachdem Tom schon in jungen Jahren beide Elternteile sowie seine ältere Schwester verlor; kam er nach Dublin, um dort als Mechaniker zu arbeiten. Während der verheerenden 90 Sekunden in Croke Park wurde er in die Schulter getroffen. Obwohl Ärzte seinen Arm zunächst erfolgreich amputierten, starb er sechs Tage später an Wundbrand.
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Daniel Carroll (30)
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Daniel Carroll kam ursprünglich aus Tipperary und betrieb ein Pub im Dubliner Stadtteil Drumcondra. Er hatte sich den Nachmittag freigenommen, um die Mannschaft seines Heimat-Countys anzufeuern. Beim Verlassen des Stadions wurde er von einem Streifschuss im Oberschenkel getroffen. Zwei Tage später führte diese Verletzung zu seinem Tod.
Das Ende eines blutigen Tages
Die Ereignisse in Croke Park hinterließen ein Gefühl tiefer Trauer und eine Art Schockstarre in der Hauptstadt, die sich wie ein Schleier auf die plötzlich menschenleeren Straßen der Innenstadt legte. Doch das Töten sollte an diesem Tag noch nicht vorbei sein. Später am Abend nahmen britische Soldaten die beiden IRA Anführer Dick McKee und Peadar Clancy gemeinsam mit ihrem unbeteiligten Freund Conor Clune fest. Man verhörte sie zunächsts im Dublin Castle, wo sie schließlich unter dubiosen Umständen erschossen wurden.
Das britische Militär gab an, dass die drei Männer aufgrund von Platzmangel im Zellentrakt in einem Büro festgehalten wurden, in dem sich ein Waffenschrank befand. Bei einem Fluchtversuch erschoss man die drei Iren folglich aus Notwehr. Diese Behauptungen konnten jedoch nie eindeutig belegt beziehungsweise widerlegt werden. Dick McKee, Peadar Clancy und Conor Clune waren an diesem Tag die letzten Opfer.
Weitere Verantwortliche der Mordanschläge auf den britischen Geheimdienst wurden in den darauffolgenden Wochen verhört und zum Tode verurteilt. Letztendlich wurde dieses Urteil allerdings nur bei zwei der IRA Männer vollstreckt.
Bloody Sunday 1920 – ein Tag, der unvergessen bleibt
Die Schießerei im Croke Park Stadion markiert einen wichtigen Wendepunkt im Unabhängigkeitskampf Irlands. Das willkürliche Töten unbewaffneter Zivilisten und Kinder sorgte dafür, dass die Regierung der selbst ernannten Republik Irland immer mehr Anhänger gewann. Der andauernde Guerilla-Krieg sah vermehrte Anschläge auf die britischen Truppen in Dublin, aus denen die irische Seite weiterhin Macht gewann. Ein Zustand, der im Sommer 1921 schließlich zum Waffenstillstand und zwei Jahre später zum Anglo-Irischen Vertrag führte, der Irland zum Freistaat im Commonwealth erklärte. Ein Prozess, der schließlich den Weg zur vollendeten Unabhängigkeit Irlands 1949 ebnete!
Obwohl sich die Briten zunächst von den Taten der „Black and Tans“ an diesem Sonntag distanzierten und unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein Kriegsgericht abhielten, dauerte es noch über 80 Jahre, bis die Wahrheit ans Licht kam. Demnach räumten die Engländer ein, dass die britischen Truppen ohne Befehl und ohne Grund das Feuer auf bis zu 15.000 Zivilisten im Stadion eröffneten!
Der 21. November 1920, ein Sonntag, der in der Geschichte der Grünen Insel einen wichtigen Platz eingenommen hat. Doch neben seiner politisch wichtigen Rolle im Kampf um ein unabhängiges Irland; ist es in erster Linie ein Sonntag, an dem 10 unbeteiligte Männer, eine junge Frau und drei unschuldige Kinder ihr Leben verloren haben!
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