Irland in der Neuzeit

Sack of Baltimore – der größte Piratenangriff Irlands

sack of baltimore
Written by Nadja Uebach

Nach einem langen Tag fielen die Bürger des kleinen irischen Fischerdorfes Baltimore am Abend des 19. Juni 1631; dem Vorabend des „Sack of Baltimore“ (auch Plünderung von Baltimore) in ihre Betten. Vor der Küste West Corks waren die Fischgründe prall gefüllt und der Fischfang war im 17. Jahrhundert eine schweißtreibende Angelegenheit. So wollten die Fischer und Bootbauer am folgenden Morgen ausgeschlafen in einen neuen Tag starten. Dass diese Nacht den herbeigesehnten erholsamen Schlaf nicht bringen sollte und sich die Fischgründe, Boote und Netze von nun an sich selbst überlassen blieben, ahnte an diesem Abend jedoch niemand.

Sobald die wärmenden Feuer in den Kaminen der Reetdach-Cottages niedergebrannt waren und auch der letzte Anwohner ins Land der Träume entschwunden war; wurde Baltimore Opfer des größten Piratenangriffs in der Geschichte Irlands. Im Schutz der Dunkelheit fiel die berüchtigte und erbarmungslose Seeräubertruppe um den Kapitän Murat Reis der Jüngere in den Ort ein. Sie setzten Häuser in Brand und rissen mehr als 100 Männer, Frauen und Kinder aus ihren Betten, um sie nach Afrika zu verschleppen und dort als Sklaven zu verkaufen.

Hier erfahrt Ihr, weshalb der westirische Küstenort für die Freibeuter so interessant war, was in der Juninacht genau geschah und wie der Sack of Baltimore die Geschichte Irlands beeinflusste.

Baltimore im frühen 17. Jahrhundert

Gemeinsam mit den beiden vorgelagerten Inseln Sherkin und Cape Clear war Baltimore fest in der Hand des O’Driscoll Clans, der zu dieser Zeit von Sir Fineen O’Driscoll angeführt wurde. Der Clan war jeher bekannt für seine Skrupellosigkeit und wird oft als Clan von irischen Piraten bezeichnet. Das sorgte dafür, dass sich die O’Driscolls aufseiten der Iren mehr Feinde als Freunde machten und schließlich der englischen Krone ihre Treue schworen.

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Wohlstand durch Freibeuterschaft vor dem Sack of Baltimore

Baltimore – ein florierendes und günstig gelegenes Fischerdorf an der Südwestküste Irlands, wurde daraufhin an den englischen Anwalt Sir Thomas Crooke verpachtet. Unter Crookes Führung entwickelte sich Baltimore zu einer erfolgreichen englischen Siedlung. Pläne das Dorf zu einem bekannten Handels- und Fischereihafen zu machen, wurden schnell umgesetzt. Nachdem sich immer mehr Engländer in dem Küstenort niederließen, wanderten die ursprünglichen irischen Einwohner in die umliegenden Dörfer und Siedlungen ab. Sodass Baltimore innerhalb weniger Jahre weitestgehend als Stützpunkt der Engländer isoliert war. Auf die Unterstützung der Iren konnte die englische Bevölkerung der kleinen Ortschaft nicht zählen. Der Fischfang war daher nicht nur Lebensmittelpunkt der Baltimorer, sondern zudem der einzige Lebensunterhalt für viele.

Zu Beginn der 1630er Jahre lebten in Baltimore mehrere Hundert Menschen. Die Siedlung war zudem als ein beliebter Umschlagplatz für Weine aus aller Welt bekannt. Der eigentliche Wohlstand des Dorfes soll jedoch der Piraterie entstammen. Gerüchte, wonach die Bewohner und sogar Crooke selbst in freibeuterische Machenschaften verwickelt sein sollen, hielten sich hartnäckig. In Anbetracht der Tatsache, dass der Sack of Baltimore unmittelbar bevorstand, erscheint diese Flüsterpropaganda mehr als ironisch.

20. Juni 1631 – Sack of Baltimore

Am 17. Juni 1631 verließen zwei Schiffe unter dem niederländisch stämmigen Piratenkapitän Jan Janszoon (seit seinem Übertritt zum Islam als Murat Reis der Jüngere bekannt) den Hafen von Algier. Reis war ein berüchtigter Pirat, der sich der Verschleppung und dem Verkauf von weißen Sklaven nach Afrika verschrieben hatte. Mit einer etwa 300 Mann starken Crew, die auf den beiden Schiffen verteilt war; machten sich die Freibeuter auf in Richtung Nordeuropa.

Sack of Baltimore: Verraten durch einen Iren

Auf dem Weg dorthin kaperte und plünderte die Truppe mehrere kleine Schiffe und Boote. Darunter auch zwei Fischerboote aus Dungarvan in der Grafschaft Waterford. John Hackett war Kapitän einer der beiden Crews und spielte eine wesentliche Rolle in der Plünderung von Baltimore. Die afrikanische Piratenflotte plante zunächst einen Angriff auf Kinsale. Hackett wurde angewiesen, die Freibeuter in den südirischen Hafen zu lotsen. Jedoch wusste der Fischer, dass ein Boot der englischen Navy dort vor Anker lag; eine Information, die ihm auf dem Piratenschiff das Leben garantierte. Als alternativen Angriffsort empfahl Hackett den Hafen von Baltimore, dessen Schutz zu diesem Zeitpunkt kaum existierte.

Am Nachmittag des 19. Juni 1631 beobachtete man die beiden Schiffe von Castlehaven aus. Da sie jedoch höchstwahrscheinlich zur Tarnung unter der Flagge einer freundlichen Nation segelten, ahnten die Iren nichts von der Gefahr, die von der kleinen Flotte ausging. Etwa gegen 10 Uhr abends gingen die Freibeuter in der Nähe des Hafens von Baltimore vor Anker. Mithilfe eines Ruderboots setzte Kapitän Reis gemeinsam mit zehn weiteren Männern zum Ufer über. Dort machte er sich mit den Cottages in unmittelbarer Nähe der Baltimore Cove und dem etwa 2 Kilometer entfernten Ortskern vertraut, bevor sich die Gruppe zu ihren Schiffen zurückzog.

Angriff im Schutz der Dunkelheit

Erst gegen 2 Uhr morgens am 20. Juni 1631 setzte die 230 Mann starke Piratencrew zum Angriff erneut in die Cove von Baltimore über. Die Freibeuter waren mit Musketen und Fackeln bewaffnet. Anstatt mit tosendem Gebrüll in die beschauliche Ortschaft einzufallen, verteilten sich die Männer auf die 26 Reetdach-Cottages und warteten still auf ein Signal ihres Kapitäns. Sobald Reis sein Zeichen gab, barsten die Piraten gleichzeitig durch die Türen der Hütten. Die Angreifer rissen die Bewohner im Inneren aus dem Schlaf und legten sie in Ketten, bevor sie die Cottages in Brand setzten.

Die Seeräuber setzten ihren Beutezug in Richtung Ortsmitte fort. Auf ihrem Weg nahmen sie weitere Männer, Frauen und Kinder gefangen. Erst als der Anwohner William Harris Alarm schlug und der Rest der Bevölkerung mithilfe einer Trommel geweckt wurde, zogen sich die Piraten mit ihrer menschlichen Beute zurück. Insgesamt wurden 20 Männer, 33 Frauen und 54 Kinder gefangen genommen und auf die beiden Schiffe verschleppt, die schon bald wieder Kurs auf Afrika nehmen sollten.

Sklavenmarkt Algier

Jan Luyken [Public domain]

Sack of Baltimore: Verrat und Verschwörung

Historische Quellen belegen, dass der Fischer John Hackett während des Angriffs an der Seite des Piratenkapitäns Murat Reis kämpfte. Es wird spekuliert, dass ihm von dem Freibeuter eine üppige Belohnung dafür in Aussicht gestellt wurde. Diese würde er jedoch nie erhalten. Im Gegenteil: kurz bevor die Seeräuber die irischen Gewässer verließen, wurde Hackett gemeinsam mit zwei weiteren gefangenen Fischern sowie zwei älteren Personen aus Baltimore am irischen Ufer zurückgelassen. Nach einem kurzen Prozess wurde Hackett wegen Verrat und Beihilfe zum Überfall zum Tod am Galgen verurteilt. Die Informationen, denen er auf dem Piratenschiff sein Leben verdankte, waren schließlich die Nägel in seinem Sarg.

Spekulationen zu den genauen Hintergründen des Sack of Baltimore gibt es reichlich. Zum einen wird vermutet dass Sir Walter Coppinger aus der benachbarten Baronie Carbery die Plünderung initiiert hat. Coppingers Absichten Baltimore zum Teil seiner Ländereien zu machen waren dank zahlreicher Streitigkeiten mit Thomas Crooke und Fineen O’Driscoll allgemein bekannt. Als weitere Fadenzieher des Angriffs kommen Mitglieder des O’Driscoll Clans in Frage, die sich seit dem gescheiterten Battle of Kinsale zu Beginn des 17. Jahrhunderts im spanischen Exil befanden. Ob Murat Reis von Coppinger, Exil-Iren oder anderen Hintermännern beeinflusst wurde; oder den Sack of Baltimore allein plante, werden wir wohl nie erfahren.

Von Baltimore nach Algerien: Was passierte mit den Menschen?

Über den Verbleib der gefangenen Baltimorer ist nur wenig bekannt. Aus Berichten von verschleppten Sklaven aus vergleichbaren Überfällen erhält man jedoch einen guten Eindruck über ihr Schicksal. Demnach wurden die jungen und gesunden Männer schon auf der Überfahrt nach Afrika für körperlich anstrengende Arbeiten eingesetzt. Zu den Frauen und Kindern waren die Freibeuter dagegen oftmals freundlich. Schließlich hatten weiße Frauen und kleine Kinder einen weitaus höheren Handelswert auf dem algerischen Sklavenmarkt als Männer. Oft wird berichtet, dass Frauen ungestörte Waschmöglichkeiten bekamen. Zudem durften sie sich gemeinsam mit den jüngsten Gefangenen frei an Bord bewegen. Die Männer hingegen wurden nach der Arbeit in spartanischen Verhältnissen unter Deck gesperrt.

Drei Jahre nach dem Sack of Baltimore meldete das englische Konsulat, dass mehr als 40 der entführten Sklaven aus Baltimore entweder tot oder zum Islam übergetreten waren. Knapp 15 Jahre nach der Plünderung wurden Joan Broadbrook und Ellen Hawkins während einer englischen Aufklärungsmission in Algerien freigekauft. Die beiden Frauen englischer Abstammung traten die Heimreise nach London an. Selbst wenn sich ihre Spur dort verliert, wird angenommen, dass die beiden ehemaligen Sklavinnen eine Anstellung auf Lebenszeit am englischen Parlament erhielten. Das Schicksal der restlichen 105 entführten Menschen aus Baltimore ist nicht bekannt.

Lesetipp: Der Autor Des Ekin hat in seinem Buch „The Stolen Village“ den Sack of Baltimore auf eine schaurige und detailgetreue Art und Weise festgehalten.

Baltimore nach der Piratenattacke

Der 20. Juni 1631 ließ Baltimore und seine Einwohner größtenteils niedergebrannt, geschockt und verängstigt zurück. Familien wurden auseinandergerissen und verloren in den Hausfeuern ihren gesamten Besitz. Aus Angst und sicherlich auch aus Hoffnungslosigkeit machte sich die verbleibende Bevölkerung auf in Richtung Landesinnere.

Die Flüchtlinge wollten sich nicht mehr direkt an der Küste niederlassen, zu groß war die Furcht vor einem erneuten Angriff durch Seeräuber. Jedoch waren die Menschen mit dem Fischfang und dem Bootsbau vertraut und sahen den Anschluss zum Meer als lebensnotwendig an. So entstand eine kleine Siedlung am Fluss Ilen, der die Bewohner des neuen Ortes mithilfe kleiner Boote mit dem Atlantik verband. Skibbereen war geboren und entwickelte sich in den darauffolgenden Jahrhunderten zu einem zentralen und wichtigen Knotenpunkt in West Cork, den es ohne den Sack of Baltimore vielleicht nie gegeben hätte. Bis heute verbirgt sich hinter dem Ortsnamen Skibbereen (auf Irisch: An Sciobairín) die Ursprungsgeschichte der einstigen Flüchtlingssiedlung. Frei übersetzt bedeutet Skibbereen „Hafen kleiner Boote“.

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Über den Autor

Nadja Uebach

Da ich seit 2008 auf der grünen Insel lebe, bedeutet Irland für mich in erster Linie Alltag. Wenn ich nicht mit meinem Laptop bewaffnet in einem Café oder Zuhause sitze und schreibe, findet man mich höchstwahrscheinlich mit meinen drei Kindern am Strand. Die Natur, die Kultur und insbesondere die Menschen sorgen dafür, dass sich in unseren Alltag immer wieder ein bisschen Magie einschleicht. Diese besondere irische Alltagsmagie versuche ich in meinen Texten in Worte zu fassen.

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