Irland in der Neuzeit

Big Wind 1839: Super-Orkan über Irland

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Written by Nadja Uebach

Der 6. Januar 1839 war ungewöhnlich warm auf der Grünen Insel. Der am Tag zuvor gefallene Schnee schmolz, die Wolkendecke am Himmel bewegte sich kaum und schien besonders schwer in der Luft zu hängen. Niemand ahnte, dass sich zur gleichen Zeit ein riesiges Sturmtief über dem Nordatlantik bildete. In nur wenigen Stunden würde es mit der warmen Wetterfront zusammentreffen und mit einer unbändigen Kraft über die Insel herfallen! Selbst als die gedrückte Atmosphäre und die hohen Temperaturen am späten Nachmittag von leichten Windböen und Regen abgelöst wurden, war das nichts Ungewöhnliches. Schließlich ist der Januar bis heute einer der windigsten und regenreichsten Monate des Landes – Systeme zur Frühwarnung existierten nicht!

Mehr als fünf Stunden suchte der Orkan, der als Big Wind 1839 in die Geschichte einging, die kleine Atlantikinsel heim. Er forderte mehrere Hundert Todesopfer, brachte Vogelarten an den Rand des Aussterbens und sorgte für eine nie gekannte Verwüstung des gesamten Landes!

Big Wind 1839: Die Ruhe vor dem Sturm

Der Kirchgang am Sonntag des 6. Januars war für viele Iren eine rutschige Angelegenheit. Der nächtliche Schneefall und die damit verbundenen Minusgrade sorgten vielerorts für Glatteis. Die winterliche Landschaft wehrte jedoch nicht lange, schon beim Verlassen der Kirche fing der Schnee an zu schmelzen. Das Thermometer kletterte in den folgenden Stunden auf bis zu 23 Grad!

Zeitzeugen gaben an, dass der wolkenreiche, windstille und ungewöhnlich warme Januartag von einer unheimlichen Ruhe begleitet wurde. Die stehende Luft sorgte dafür, dass die Geräusche des Alltags, wie beispielsweise Unterhaltungen über eine außergewöhnlich große Entfernung gehört werden konnten.

Kurz nach Mittag begann es entlang der Westküste zu regnen. Im Laufe des Nachmittags breitete sich der Regen über die gesamte Insel aus und wurde dabei von einem immer stärker werdenden Wind begleitet. Am frühen Abend, machten es sich die Inselbewohner vor ihren Kaminen gemütlich und lauschten den Windböen; die – wie es schien – eine typisch irische Januarnacht ankündigten.

Die Orkannacht – The Night of the Big Wind

Um neun Uhr abends hatte der Wind bereits eine mäßige Sturmstärke erreicht. Den Iren war klar, es würde eine ungemütliche Nacht werden. Erst als die Böen gegen Mitternacht mit bis zu 185 Kilometer pro Stunde über die Insel fegten, war offensichtlich, wie ungemütlich es wirklich werden würde. Berichte erzählen von lautem Donnergrollen, das die Menschen gemeinsam mit dem Heulen des Windes aus dem Schlaf riss.

Trümmer flogen wie Geschosse durch die Luft, Bäume wurden entwurzelt; und die Gischt des Atlantiks wurde so weit ins Landesinnere getragen, dass sie noch mehrere Kilometer hinter der Küstenlinie durch die Schornsteine in die Häuser drang! Die riesigen Sturmwellen brachen bis über den Rand der Klippen von Moher. Die Gewalt des Meeres spülte mehrere Felsen vom Meeresboden an den Rand der Steilküste der Aran Islands. Weidevieh wurde von Trümmerteilen erschlagen oder fiel der gewaltigen Kraft der Böen zum Opfer.

Familien kauerten sich im Schutz ihrer Häuser zusammen. Das Tosen des Orkans erstickte jegliche Kommunikation, sodass man sich mit Handzeichen verständigte. Viele von ihnen mussten dabei zusehen, wie die Fenster eins nach dem anderen zerbrachen und das Dach über ihren Köpfen in der Vehemenz des Orkans verschand. Andere flüchteten in die Dunkelheit der Nacht, nachdem der Wind die Glut des abendlichen Feuers aus dem Kamin im Haus verteilte und es so in Brand setzte. Einige schafften es nicht rechtzeitig ihre Häuser zu verlassen, bevor die Mauern der gewaltigen Kraft des Windes nicht länger standhalten konnten!

Schutzsuche in völliger Dunkelheit

Sämtliche Laternen und Kerzen wurden binnen weniger Minuten von dem Sturm gelöscht. Der Schein des Mondes war hinter der Undurchdringlichkeit der Wolken versteckt – die Grüne Insel lag in völliger Dunkelheit. Einzig allein die Blitze sorgten dafür, dass das Bild der Zerstörung in regelmäßigen Abständen wie ein schreckliches Standbild in grellem Licht aufleuchtete.

In den Dörfern und Städten wurden Kirchen oder andere standhafte Gebäude zum Schutz aufgesucht. Die Menschen gaben an, dass sie auf ihrem Weg dorthin nicht aufrecht gehen konnten. Stattdessen mussten sie den Sturmböen auf allen Vieren trotzen. Dennoch wurden mehrere Menschen von der gewaltigen Kraft des Orkans mitgerissen, was in Kombination mit umherfliegenden Trümmern zu schweren Verletzungen und Knochenbrüchen führte. Berichten zufolge band man Kleinkinder und Säuglinge mithilfe von Seilen und Tüchern an ihre Eltern. Von einigen Babys weiß man, dass während des Sturms in Gefäße, wie große Töpfe gelegt wurden, deren Deckel mit Steinen beschwert waren.

Ortschaften entlang der Küste wurden von riesigen Wellen überflutet; die alles mitrissen, was sich ihnen in den Weg stellte und dabei mehrere Todesopfer forderten. Der stürmische Seegang verschlang nichts ahnende Boote und Schiffe, die vor der irischen Küste unterwegs waren. Im Landesinneren trat der Shannon über seine Ufer und setzte dabei Felder, Häuser und ganze Gemeinden unter Wasser. Ein Zeitzeuge berichtete am nächsten Tag, dass der Wind und das Wasser wie ein riesiger Besen über die Insel hinwegfegten. Was nicht vom Sturm erfasst wurde, fiel dem Regen, dem Meer oder den Flüssen zum Opfer!

Die Zerstörung des Big Wind 1839

Der Sturm tobte von Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden mit der Stärke eines Orkans, bevor die Böen langsam an Kraft verloren. Am nächsten Tag blickten die Iren mit müden Augen auf ein Land, das ihnen alles andere als vertraut war. Ein Geruch von Salz und Seegras lag in der Luft. Eine Folge der bis tief ins Landesinnere getragenen Algen und Meeresgischt!

Egal in welcher Grafschaft, es gab keinen Ort und kaum ein Haus, an dem die zerstörerischen Böen keine Spuren hinterlassen hatten! Dächer waren entweder komplett verschwunden, eingestürzt oder abgedeckt. Schornsteine lagen zerschlagen und entzweit auf der Erde. Von manchen Häusern war lediglich ein Haufen zerborstenes Holz und Geröll übrig. Es wird angenommen, dass der Big Wind in nur einer Nacht mehr Menschen obdachlos machte als alle Zwangsenteignungen durch die Engländer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Todesopfer, zerstörte Existenzen und veränderte Stadtbilder

Besonders schlimm traf es die Bauern im dünn besiedelten Westen des Landes. Diese mussten nicht nur den Verlust ihrer oft ärmlich und instabil gebauten Häuser verkraften; sondern verloren zudem einen Großteil ihrer Tiere, zukünftige Ernteerträge sowie eingelagertes Heu und Getreide. Die Folge: Es fehlte an Winterfutter für die überlebenden Nutztiere und nicht selten an Essen für die Familie! Neben dem Weidevieh hatte der Sturm zudem viele Vögel auf dem Gewissen. Heutzutage ist es kaum vorstellbar, dass die Krähen und Dohlen Irlands in dieser Nacht fast komplett ausgerottet wurden.

Die genaue Anzahl der Todesopfer ist nicht bekannt. Es wird jedoch geschätzt, dass bis zu 300 Iren ums Leben kamen. Sowohl an Land als auch auf See, wo der Orkan insgesamt 42 Schiffe samt Besatzung heimsuchte. In den Tagen und Wochen nach dem Sturm berichteten Zeitungen von 38 Häusern, die allein in Dublin bis auf die Grundmauern vernichtet wurden. Weitere 364 trugen mit abgedeckten sowie eingestürzten Dachstühlen massive Schäden davon. Insgesamt 4.846 Häuser der Stadt besaßen keinen Schornstein mehr und wurden zumindest teilweise abgedeckt! Aufzeichnungen dieser Art beziehen sich zwar nur auf Dublin, geben jedoch einen schrecklichen Einblick in das Ausmaß der Verwüstung auf der gesamten Insel.

Der Orkan und die irische Folklore

Die Tatsache, dass der Orkan in der Nacht vom 6. auf den 7. Januar tobte, weckte bei vielen Iren die Angst, dass es sich dabei um das Ende der Welt handelte. Diese Befürchtung ist tief im alten gälischen Glauben verwurzelt, nach dem der Tag des jüngsten Gerichts auf den 7. Januar fällt!

Jahrelang hielt sich zudem der Glaube, dass der verheerende Sturm ein Werk der Feen war. Laut der irischen Mythologie hielt das Feenvolk jedes Jahr am 5. Januar ein Festmahl im Rahmen des Gedenktages für Saint Cera ab. Im Jahr 1839, so glaubten die Iren, entschieden sich die Feen dazu die Insel nach dem Festmahl zu verlassen. Als sie Irland in der darauffolgenden Nacht den Rücken kehrten, kreierten sie dabei einen Sturm, wie ihn das Land noch nie gesehen hatte!

Der Big Wind 1839 und sein Platz in der Geschichte

Irland erholte sich nur langsam von den Folgen der Januarnacht. Insbesondere im Westen der Insel spürte man noch Jahre nach dem Sturm die Auswirkungen in Form von Armut und Obdachlosigkeit. Die Große Hungersnot, die Irland nur sechs Jahre später heimsuchte, brachte den Wiederaufbau komplett zum Erliegen.

Hungernde in Irland

Hungernde in Irland; James Mahony [Public domain], via Wikimedia Commons

Der Orkan prägte die irische Geschichte so stark, dass unmittelbar nach dem 6. Januar die Zeitrechnung in „vor dem Sturm“ und „nach dem Sturm“ eingeteilt wurde. In der Tat diente die Nacht des Big Wind 70 Jahre später als Stichtag für die neu eingeführte Altersrente. Geburtsurkunden waren zu dieser Zeit kaum vorhanden. Wer sich ohne Papiere die Rente sichern wollte, der musste sich an die Nacht des 6. Januars 1839 erinnern können.

Auch heute wird „Oíche na Gaoithe Móire“, wie die Nacht in der irischen Sprache heißt, regelmäßig als einer der stärksten Stürme des Landes in den irischen Medien erwähnt. Somit ist der Big Wind ein Ereignis, das die Insel nicht nur im Januar 1839 geschockt, geprägt und verändert hat, sondern bis heute ein Teil ihrer Geschichte und ihres Volkes ist!

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Über den Autor

Nadja Uebach

Da ich seit 2008 auf der grünen Insel lebe, bedeutet Irland für mich in erster Linie Alltag. Wenn ich nicht mit meinem Laptop bewaffnet in einem Café oder Zuhause sitze und schreibe, findet man mich höchstwahrscheinlich mit meinen drei Kindern am Strand. Die Natur, die Kultur und insbesondere die Menschen sorgen dafür, dass sich in unseren Alltag immer wieder ein bisschen Magie einschleicht. Diese besondere irische Alltagsmagie versuche ich in meinen Texten in Worte zu fassen.

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