Irland in der Neuzeit

Corrymeela – Hügel der Harmonie. Eine irische Friedensinitiative.

Pádraig Ó Tuama
Written by Ina Brecheis
Unweit von Ballycastle im äußersten Norden Irlands liegt ein Ort, den es auf der Grünen Insel und wohl auch auf dem Rest der Welt kein zweites Mal gibt – den „Hügel der Harmonie“. Es geht dabei aber nicht um einen Ort, der durch seine landschaftliche Schönheit besticht. Der „Hügel der Harmonie“ ist ein Ort, der Menschen aus aller Welt zusammenbringt, Feindschaften und Vorurteile vergessen macht und daran erinnert, dass wir alle, gleich welcher Religion, welcher Nationalität, welcher Hautfarbe schlicht und ergreifend Bewohner ein und desselben Planeten sind und uns als solche die Hände reichen sollten.
Es geht um ein Begegnungszentrum, das ein irischer Kriegsveteran ins Leben gerufen hat, der die Schrecken des Zweiten Weltkriegs miterlebt hat. Er gründete Corrymeela, was auf Irisch „Hügel der Harmonie“ bedeutet. Bis heute ist der Name Programm und wir hatten das Glück, uns mit dessen Leiter Pádraig Ó Tuama austauschen zu können. Pádraig ist selbst Ire, weit gereister Theologe und Liebhaber der Poesie. Wenn es um Versöhnung und Friedensarbeit geht, steht Pádraig oft auf den Bühnen dieser Welt, um die Botschaft von Corrymeela in die Welt hineinzutragen, denn Konflikte gibt es auf dieser Welt wohl genug.
Er erklärt uns in diesem Artikel, auf welche Geschichte Corrymeela zurückblickt, welche Vision das Zentrum verfolgt und, weshalb seine Arbeit heute vielleicht wichtiger ist denn je.
Anm. d. R.: Pádraig verfasste den Text auf Englisch und manchmal stichpunktartig. Was Ihr hier lest, ist unsere deutsche Überarbeitung.

Nach dem Krieg: Der Wunsch nach Frieden

Es war der in Belfast geborene presbyterianischer Kaplan Ray Davey, der Corrymeela ins Leben rief. Dem vorausgegangen war eine Odyssee, wie sie in den Wirren des Zweiten Weltkriegs wohl keine Seltenheit war. Ray meldete sich als Priester freiwillig beim CVJM (Christlicher Verein Junger Menschen). Als solcher wurde er in einem Erholungslager in Nordafrika eingesetzt. Hier sollten sich die Soldaten von dem Einsatz an der Front erholen.

Als jedoch die Nazis Nordafrika einnahmen, geriet Ray in Gefangenschaft. Er musste verschiedene Kriegsgefangenenlager überstehen und landete schließlich in einem Lager etwas außerhalb von Dresden. Als Priester und Seelsorger hatte er die Möglichkeit, auch einige Zeit am Tag außerhalb des Lagers zu verbringen und besuchte Soldaten. So kam er auch in Kontakt mit einigen Bewohnern der Stadt, die versuchten, in dem um sie tobenden Krieg ein normales Leben zu führen. Er erlebte die Schrecken der Dresdner Bombennacht vom 13. auf den 14. Februar 1945, die für ihn ein traumatisches Ereignis und Einschnitt in sein Leben war. Nun konnte er zwar hoffen, bald frei zu sein, aber sah, dass diese Freiheit mit dem Leben vieler unschuldiger Menschen bezahlt war.

Noch 1945 kehrte er nach Irland zurück – in ein geteiltes Land. Die Lebensbedingungen für Katholiken in Nordirland waren hart und es brauten sich Spannungen zusammen. Ray war davon überzeugt, dass der einzige Weg in eine friedvolle Zukunft darin bestand, die verfeindeten Parteien, irischer Katholiken und britische Protestanten, an einen Tisch zu bringen. Einen Austausch zwischen ihnen anzuregen.

Dresdner Bombennacht

Die Dresdner Bombennacht; Gemeinfrei, Link

Corrymeela ist geboren

1965, nachdem er 20 Jahre lang Kaplan gewesen war, stand ein Stück Land mit einem Gehöft an der Nordküste Irlands zum Verkauf. Ray bildete eine Gemeinschaft von etwa 50 Personen und gemeinsam sammelten sie das nötige Geld. Die Gemeinschaft wurde nach dem gekauften Land benannt: Corrymeela. Heute leben noch etwa 30 der Gründungsmitglieder – Ray Davey selbst verstarb 2012. 1965 warfen die Auseinandersetzungen in Nordirland, auch Troubles genannt, bereits ihre Schatten voraus. 1968 eskalierten dann die schwelenden Auseinandersetzungen. Jede Woche gab es während des andauernden Nordirlandkonflikts Tote, Verletzte und Zerstörung. In dieser Zeit wurde Corrymeela zu einem Zufluchtsort für Menschen, deren Häuser bedroht waren. Manchmal schliefen 200 Menschen auf dem Boden der Begegnungsstätte, um wenigstens die Nacht an einem sicheren Ort zu verbringen.

Im Jahr 1975 hatte Corrymeela begonnen, Menschen zu beschäftigen – zuerst Anna, die Köchin –, die sich mit ganzer Seele für das Leibeswohl all jener Menschen einsetzte, die das Schicksal an die Pforten von Corrymeela spülte. Über die Jahre kamen immer mehr Menschen hinzu, die sich, überzeugt von der Sache, einbringen wollten. Aber auch die Gemeinschaft von Corrymeela war nicht gefeit vor Auseinandersetzungen, die das Zusammenleben so vieler verschiedener Menschen manchmal sehr holprig gestalteten.

Heute, 53 Jahre später, finden jährlich 6.000 Menschen ihren Weg nach Corrymeela. Die Mission von Corrymeela ist es, Trennendes durch menschliche Begegnung zu transformieren. Es bietet Programme für Schulen, Gemeindegruppen, Glaubensgruppen, politische Gruppen, Studenten und Fachleute. Die Mehrheit der Menschen kommen aus Irland, aber immer mehr Menschen aus aller Welt finden ihren Weg zu Corrymeela: Menschen aus den Vereinigten Staaten, aus Korea, aus dem Südsudan sowie englische und schottische Gruppen und Gruppen aus ganz Europa.

Corrymeela Vision

Die Vision von Corrymeela

Corrymeela – aktueller denn je

Die Ergebnisse des Karfreitagsabkommens von 1998 waren monumental, da das Abkommen die Hoffnungen sowohl der Briten als auch der Iren gleichberechtigt würdigte und achtete. Aber noch immer ist die irische Gesellschaft gespalten.

Es gibt eine Theorie, wonach es genauso lange dauert, Konflikte zu lösen, wie es dauert, dass sie entstehen. Wo aber beginnt man, die britisch-irischen Spannungen zu messen? 1968? Oder 1921 oder gar 1607? Gleich wie, es wird noch ein weiter Weg zu gehen sein. Noch heute treffen viele junge Menschen in Nordirland bis zum Ende ihrer Schulzeit nicht auf eine Person der anderen Gemeinschaft. Viele Viertel in Belfast sind mit über 40 „Friedensmauern“ durchzogen, die die verschiedenen Gemeinschaften voneinander trennen. Es gibt noch immer sektiererische Gruppierungen, die den politischen Prozess zu untergraben versuchen. Und in der Zukunft liegen viele Hürden: Der Brexit reißt vor dem hundertsten Jahrestag der irischen Teilung alte Wunden wieder auf.

Stimmen werden laut, die vor dem Hintergrund des Brexits die Möglichkeit sehen, ein Referendum über die Wiedervereinigung Irlands abzuhalten. Es gibt einige, für die diese Aussicht freudig ist, und andere, für die dies schmerzhaft ist. Einige wollen das hundertjährige Jubiläum der Teilung feiern, andere wollen es beklagen.

Was auch immer die Zukunft bringen wird, die Menschen in Nordirland werden es miteinander erleben und müssen gemeinsam damit zurechtkommen. Die Vision von Corrymeela ist, die Menschen auf diesem Weg zu begleiten, eine Möglichkeit zu finden, die gemeinsame Zugehörigkeit zu einem Ort zu vertiefen, der zu viel Mord, zu viel Spaltung, zu viel Schmerz gekannt hat. Den Menschen eine Stätte der Begegnung zu bieten, gleich, ob sie für oder gegen eine Wiedervereinigung sind.

Pádraig Ó Tuama

Pádraig über sich selbst

Ich bin in Cork, an der Südküste, aufgewachsen. Ich lernte Irisch und Englisch zugleich, aber für mich ist die Poesie der irischen Sprache eines der Dinge, die mich nährt und beglückt. Im Alter von fünf Jahren lernte ich Poesie auswendig in zwei Sprachen, und meine Liebe zur Poesie besteht bis heute. Ich bin gerade dabei, meine dritte Gedichtsammlung fertigzustellen und ein Tag ohne Poesie ist für mich kein Tag.

Ich brauchte zwei Jahre, um die vollständige Dichtung der außergewöhnlichen amerikanischen Dichterin Emily Dickinson durchzulesen. Dieses Projekt hat mein Verhältnis zur Sprache verändert. Sie schrieb 1775 Gedichte, die von Wissenschaft bis Bienen, von Depression bis Wut bis Feminismus und Religion reichen. Die Poesie ist für mich eine mutige Kunst – sie fordert den Dichter und den Leser auf, in eine Welt einzutreten, in der man mit wenigen Worten viele Dinge sagen kann. Die Kunst dieser Herausforderung fasziniert mich.

Ich liebe es auch zu kochen. Meine Lieblingsbeschäftigung für einen Samstag ist es, den ganzen Nachmittag mit Kochen zu verbringen. Dann Freunde zum Essen zu empfangen und mit Wein, Musik und Gesprächen den Tag ausklingen zu lassen.

Sein Weg zu Corrymeela

Im Jahr 2002 lud mich eine deutsche Freundin – Sabine -, die viele Jahre in Belfast gearbeitet hatte, zu einem Retreat in Corrymeela ein. Der Retreat war für LGBT-Leute (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender), um unsere Spiritualität zu erforschen.

Dieser Rückzug war ein Erlebnis für mich. Erst 1993 in der Republik Irland und 1986 im Norden wurde die Homosexualität offiziell entkriminalisiert. Ich hatte noch keinen Ort gefunden, an dem LGBT-Menschen irgendwo in Irland willkommen geheißen wurden. Es veränderte mein Leben und zeigte mir, dass es möglich war, ich selbst zu sein. Ein Ort, an dem ich nicht gespalten war zwischen meinem Interesse an Religion und der Art, wie ich zu leben wünschte.

Ich begann mich, sehr bei Corrymeela einzubringen. Ich arbeitete für einige Programme, führte Retreat-Wochenenden für LGBT-Personen durch, arbeitete mich internationalen Gruppen und beteiligte mich am Freiwilligenprogramm.

Im Jahr 2014 wurde ich zum Leiter der Gemeinschaft gewählt. Als solcher ist meine Rolle, Corrymeela bei Angelegenheiten, die mit Gemeinschaft, Glauben und Vielfalt zu tun haben, öffentlich zu vertreten.

Ausgewählte Vorträge von Pádraig

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Über den Autor

Ina Brecheis

Ich habe mich während meines Studiums in Dublin in Irland verliebt. Zuvor war da nur eine vage Anziehung zu diesem Land mit seiner lebensfrohen Musik und lebendigen Kultur. Dort war es dann um mich geschehen und ich habe eine unvergessliche Zeit auf der Grünen Insel verbracht. Seither zieht es mich immer wieder dorthin zurück. Umso mehr freue ich mich, über mein grünes Lieblingsland hier bei gruene-Insel.de zu schreiben.

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