Musik und Storytelling – diese beiden Künste sind so tief in der irischen Seele verankert wie kaum etwas anderes. Ein Mann, der sie beide in sich vereinte und mit ganzem Herzen lebte, war Turlough O’Carolan. Bis heute gilt der Bauernsohn aus dem 17. Jahrhundert als Irlands größter Nationalkomponist. Über 200 Kompositionen sind von ihm überliefert, sein Instrument war die Harfe. Im Folgenden wollen wir das Leben des blinden Harfenspielers genauer betrachten.
Wie Turlough O’Carolan zu seiner Harfe kam
Geboren im Jahr 1670 lebte der Junge zunächst im County Meath, zog aber 1684 mit seiner Familie ins County Roscommon. Hier hatte sein Vater auf dem Anwesen der MacDermott-Roes eine Anstellung gefunden. Die Dame des Hauses gewährte dem einfachen Bauernsohn eine Ausbildung. Dabei zeigte er eine besondere Leidenschaft für die Dichtkunst.
Als Turlough infolge der Pocken erblindete und nicht mehr auf dem Land arbeiten konnte, ließ die Lady ihn auch an der Harfe ausbilden. Dabei tat sich der junge Mann nicht leicht mit dem Instrument, das man gewöhnlich schon in viel jüngeren Jahren erlernte. So legte er schon bald seinen Schwerpunkt darauf, zu komponieren, und trug seine eigenen Lieder vor.
Im Alter von 21 Jahren machte der blinde Musiker sich mit seiner Harfe, einem Pferd und einem eigenen Führer auf den Weg durchs Land, um mit Musik seinen Unterhalt zu bestreiten.
Turlough O’Carolan und Planxty
Fast fünfzig Jahre lang reiste Carolan von einem Ende Irlands zum anderen und trug in den herrschaftlichen Häusern seine Stücke vor. Dabei behandelte der englisch-irische Landadel den gebildeten, blinden jungen Mann eher wie einen Freund und Gleichgestellten als einen bezahlten Musiker. Als Dank für besondere Freundlichkeit widmete er den Hausherren oder –herrinnen manchmal eines seiner Lieder.
Diese Lieder bezeichnete er selbst mit dem Begriff „Planxty“, gefolgt von dem Namen des jeweiligen Hausherrn, zum Beispiel Planxty Irwin, Planxty Maggie Brown und so weiter.
Liebhaber der irischen Folkmusic werden diesen Begriff der musikalischen Grüße beziehungsweise Widmung sofort wiedererkennen. Denn Planxty ist der Name einer irischen Folkmusikband aus den 1970er Jahren. Gegründet von Christy Moore und seinen Freunden spielte die Band überwiegend traditionelle Titel und wird als einflussreichste Band in der Geschichte der traditionellen irischen Musik bezeichnet.
Angeblich war O’Carolans Musik im Allgemeinen bei seinen reichen Geldgebern so beliebt, dass man bei Feierlichkeiten nicht mehr auf ihn verzichten wollte, und Hochzeiten und Beerdigungen verschob, nur damit er dabei auftreten konnte.
Der irische Barde privat
Erst im Alter von 50 Jahren heiratete Carolan eine Frau namens Mary Maguire. Die beiden ließen sich in Mohill im County Leitrim nieder und bekamen insgesamt sieben Kinder. In seinem Haus bewirtete Turlough O’Carolan seine Freunde und Gäste mit mehr Großzügigkeit als tatsächlich vorhandenen Finanzen, und geriet auf diese Weise in finanzielle Abhängigkeiten.
Folglich hängte er sein sesshaftes Familienleben bald wieder an den Nagel. Er überließ seiner Frau die Erziehung der Kinder und wurde erneut zum fahrenden Musiker.
Seine letzte Reise im Jahr 1738 führte ihn an den Ort zurück, an dem einst alles begonnen hatte: ins Haus seiner Wohltäterin Mrs. MacDermott-Roe. Hier erkrankte er und starb bald darauf im Alter von 68 Jahren. Er wurde in der Familiengruft der Familie MacDermott-Roe beigesetzt.
An diesem Ort im County Roscommen wird er auch bis heute gefeiert, und zwar im Rahmen des jährlich stattfindenden O’Carolan Harp Festival. Hier findet Ihr genauere Informationen dazu.
Doch was ist nun das Besondere an den Liedern und Kompositionen des blinden Musikers, das ihn bis heute unsterblich macht?
O’Carolans Musikstil und Inhalte
Der Harfenspieler komponierte sowohl Lieder als auch instrumentale Stücke für die Harfe. Beeinflusst waren diese Stücke von der traditionellen irischen Musik wie auch von der europäischen Barockmusik, insbesondere der italienischen.
Für seine Lieder schien er meist zuerst die Melodie zu komponieren, während er von Ort zu Ort zog. Die direkt aus dem Leben entnommenen Texte fügte er nachträglich hinzu. So war er Dichter, Storyteller und Musiker in einer Person, ein echter irischer Barde eben.
Nicht wenige seiner insgesamt 214 Kompositionen handeln von seiner großen, ersten Liebe Bridget Cruise. Leider war das Mädchen nicht geneigt, sein musikalisches, wortreiches Flehen zu erhören.
Dabei verfasste Turlough O‘Carolan, bis auf einen einzigen, sämtliche Texte in irischer Sprache. Modern Irish war zu seinen Lebzeiten die Hauptsprache auf der Insel, und da der Musiker kaum Englisch sprach, schrieb er seine Lieder eben genau in dieser Sprache. Ein einzelnes Lied, Carolan’s Devotion, ist in englischer Sprache verfasst.
Veröffentlichungen und Publikationen
Leider wurden nur die wenigsten seiner Kompositionen zu seinen Lebzeiten veröffentlicht oder auch nur niedergeschrieben. Eine dieser wenigen schriftlichen Veröffentlichungen war A Collection of the Most Celebrated Irish Tunes aus dem Jahr 1724.
So überlebten nur die wenigsten seiner Liedtexte die folgenden Jahrhunderte. Das, was überlebte, war die Musik selbst, übernommen von den irischen Geigern, Flöten – und Harfenspielern der folgenden Generationen.
So existiert heute nur eine Handvoll Aufnahmen seiner Stücke mitsamt den zugehörigen Texten, darunter „O’Carolan’s Dream“ von 2007 und Turlough O’Carolan: a Life in Song von 2013.
The Complete Carolan Songs & Airs aus dem Jahr 2011 ist die heute bedeutsamste Sammlung aller 214 Kompositionen von Carolan. Sie sind speziell für die irische Harfe gesetzt und auch auf einer solchen vorgetragen. Ergänzt wird das Paket aus vier Instrumental-CDs mit den zugehörigen Noten – und soweit vorhanden – Texten. Außerdem enthält es eine englische Interpretation für die 72 original irischen Lyrics des Komponisten.
Allerdings gab es im Lauf der letzten Jahrzehnte Hunderte von Aufnahmen beliebter „Carolan Songs“. Dutzende von Künstlern adaptierten und interpretierten seine Melodien, darunter so bekannte Bands wie The Chieftains und Planxty und der Musiker Patrick Ball.
Zu den bekanntesten dieser Stücke zählen Blind Mary, Planxty George Brabazon, Sí Bheag Sí Mhor und Eleanor Plunkett.
Spuren des Musikers im heutigen Irland
Falls Ihr Euch persönlich auf die Spuren des großen irischen Barden begeben wollt, findet Ihr diese über die ganze Grüne Insel verstreut.
Auf dem Marktplatz seines einstigen Wohnortes Mohill im County Leitrim steht eine Bronzestatue des blinden Harfenspielers.
Eine weitere Statue zu seinem ehrenvollen Gedenken findet Ihr in seinem Geburtsort Nobber im County Meath.
Auch die Hauptstadt selbst erinnert an den berühmten Sohn ihres Landes: eine Gedenkplatte in St. Patrick’s Cathedral bezeichnet ihn als den „letzten irischen Barden“.
Im National Museum of Ireland ist außerdem seine Harfe – oder zumindest die Harfe, die vermutlich ihm gehörte und einst seine Kompositionen ertönen ließ – ausgestellt.
Doch am eindrucksvollsten spricht natürlich die Musik des großen Barden selbst, die ihr ganz gemütlich auch zu Hause genießen könnt…
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