Veronica Guerin – die furchtloseste Journalistin Irlands

Wenn man heute durch Dublin streift, die modernen Bürokomplexe, die adretten Cafés und hippen Restaurants sieht, so mag man kaum glauben, dass einige Viertel in den 90er Jahren so trostlos, so heruntergekommen waren, dass man sie kaum zu betreten wagte. Armut und Perspektivlosigkeit vor dem irischen Wirtschaftswunder boten den Nährboden für Kriminalität. Insbesondere die Drogenkriminalität nahm erschreckende Ausmaße an und eine Frau wollte das ändern. Veronica Guerin. Wer war diese Frau, die der Drogenmafia so unerschrocken die Stirn bot und weshalb musste sie so bitter dafür bezahlen?

Wer war Veronica Guerin bevor sie Irlands bekannteste Journalistin wurde?

Veronica Guerin ist vor allem eines. Eine schillernde, facettenreiche und spannende Persönlichkeit. Bereits in der Schule fiel sie durch ihre Sportlichkeit auf und spielte für Irland sowohl in der Frauenfußballmannschaft, als auch in der Basketballmannschaft. So etwas geht wahrscheinlich nur in einem so kleinen, feinen Land wie der Grünen Insel. Nachdem sie die Schule abgeschlossen hatte, studierte sie am Dubliner Trinity College Buchhaltung. Nach einer kurzen Station in der Firma ihres Vaters gründete sie eine PR-Agentur, die sie 7 Jahre lang erfolgreich führte. Sie heiratete Graham Turley und gemeinsam bekamen sie ihren Sohn Cathal.

Dann zog es sie in die Politik, wo sie als Sekretärin der Fianna-Fáil-Gruppe im New Ireland Forum tätig war. Später dann war sie Schatzmeisterin und Wahlkampfhelferin von Seán Haughey in Nord-Dublin. Erst im Anschluss daran wechselte sie erneut die Richtung ihrer Karriere und wurde Reporterin für die Sunday Business Post, die Sunday Tribune und die Sunday Independent.

Von der Wirtschafts- zu Drogenkriminalität

Mit so einem kurvenreichen Lebenslauf wurde sie in Irland von vielen Journalistenkollegen belächelt und kritisiert. Ihr Schreibstil sei nicht ausgefeilt genug, ihre Grammatik lasse zu wünschen übrig, sie liebe es zu sehr in der Öffentlichkeit zu stehen. All diesen bösen, missgünstigen Zungen zum Trotz, machte sich Veronica Guerin bald einen Namen als hartnäckige Reporterin, die sich bis auf den Grund einer Story durchbiss.

Zuerst ging es es ihr vorrangig darum, Skandale und Korruption innerhalb der irischen Wirtschaft und der irischen Kirche aufzudecken. Mehr als einem mächtigen Mann trat sie dabei gehörig auf die Füße. Im Laufe ihrer Arbeit als Reporterin knüpfte sie erste Kontakte zur Dubliner “Unterwelt”. Insbesondere ein Informant, John Traynor, gab ihr heiße Tipps. Im Gegenzug schützte sie seine Identität. Das sollte sich bald ändern.

Dublins Drogenproblem in den 1990er Jahren

Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass in den 1990er Jahren einige Viertel Dublins so heruntergekommen, so trostlos waren, die Menschen durch die hohe Arbeitslosigkeit so ohne Hoffnung, dass viele ihren Kummer in Drogentrips vergessen wollten. 1994 spritzten sich in Irland 15.000 Menschen täglich Heroin oder Methadon – 8.000 alleine in Dublin. Kliniken registrierten Süchtige von gerade einmal 14 Jahren. In einigen Dubliner Vierteln lagen Spritzen auf Grünflächen und Gehwegen – Kinder spielten damit.

Es waren Szene wie diese, die Veronica Guerin in ihrer Heimatstadt vorfand und die sie sehr aufgerüttelt haben müssen. Denn sie machte sich daran, im Drogenmilieu zu recherchieren. Warnungen ihres Informanten, sich von gewissen Personen – insbesondere von John Gilligan – fernzuhalten, schlug sie in den Wind.

Veronica Guerin gräbt zu tief in der Unterwelt

Veronica Guerin beginnt bei den Drogenabhängigen selbst zu recherchieren, versucht an die Menschen zu kommen, die die Drogen verticken. Durch ihre Kontakte bei der Polizei kommt sie schnell auf die Namen einiger verdächtiger Personen. Sie ist mutig, stellt viele Fragen und kommt den Drahtziehern immer näher, denn sie erhält eine erste “Verwarnung”. Fenster in dem Haus in Dublin, wo sie mit ihrer Familie wohnt, werden im Oktober 1994 von mehreren Kugeln durchschossen. Dem voraus ging eine Veröffentlichung in der Sunday Independent über die Ermordung eines berüchtigten Dubliner Unterweltbosses. Die Familie zieht daraufhin in die Kellerräume ihres Hauses um. Freunde und Familie sind besorgt und bitten sie, ihre Arbeit an der “heißen” Drogengeschichte fallenzulassen. Sie tut es nicht.

Nach einer weiteren Story über Gerry “The Monk”, der an den zwei brutalsten Raubüberfällen Irlands beteiligt war, erfolgt eine weitere, diesmal eindringliche Warnung. Ein maskierter Mann dringt in ihr Haus ein, hält ihr eine Pistole an die Schläfe und schießt ihr ins Bein. Sie kommt ins Krankenhaus. Freunde und Familie flehen sie an, mit ihrer Arbeit aufzuhören. Sie tut es nicht. In einem Interview kurz nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus sagt sie, “wenn ich aufhöre, gewinnen sie. Sie werden nicht gewinnen.”

Die Lage spitzt sich dramatisch zu, als Veronica Guerin es wagt, John Gilligan persönlich zu konfrontieren. Er schlägt ihr ins Gesicht und überschüttet sie und ihre Familie ab dann telefonisch in ihrem Zuhause mit Morddrohungen. Es ist klar, er meint es ernst.

Der 26. Juni 1996 – der Tag, den jeder Ire erinnert

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass Veronica Guerin selbst vor Gericht steht. Zu häufig hat sie ihren knallroten Opel Calibra verbotenerweise im Halteverbot geparkt und auch die ein oder andere Geschwindigkeitsüberschreitung ist dabei. Am 26. Juni 1996 hat Veronica Guerin deshalb einen Gerichtstermin. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass ihr der Führerschein entzogen wird. Die Verhandlung findet im Naas Gerichtsgebäude statt. Wider allen Erwartens kommt sie mit einem Bußgeld davon. Während der Fahrt ruft sie einen Bekannten bei der Polizei an, um mit ihm ihre Erleichterung zu teilen: „I did very well, … fined a maximum of 150 quid.“ Mehr kann sie nicht mehr sagen.

An einer roten Ampel auf der Naas Road in der Nähe der Newlands Cross hält sie an. Ihr ist nicht bewusst, dass sie von zwei Männern auf einem Motorrad verfolgt wurde. Das Motorrad hält neben ihr, einer der Männer schlägt die Autoscheibe und und feuert 6 Schüsse auf sie ab. Dann fliehen die beiden auf dem Motorrad. Veronica Guerin stirbt noch an der Unfallstelle.

Veronica Guerins Vermächtnis

Der Mord an Veronica Guerin trifft Irland wie eine Schockwelle und gräbt sich tief in das kollektive Gedächtnis der Grünen Insel ein. Jeder Ire, jede Irin, kann wohl noch heute sagen, was er, was sie an dem Tag gemacht hat, als Veronica Guerin ermordet wurde. Ihr Tod rüttelte auf und bewegte Polizei, Politik und die Menschen selbst, Veränderungen in ihrem Land anzustoßen.

Anti-Drogen-Demonstrationen

Vorher nur nur wenigen besucht, schwellen die Proteste gegen die Drogenmafia in Dublin auf Tausende von Menschen an. Sie führen dazu, dass die Drogenkartelle ihren Geschäften nicht mehr unverfroren bei Tageslicht und vor aller Nase nachgehen können. Sie werden dazu gezwungen, in den Untergrund zu gehen.

Verfassungsänderung

Wenige Tage nach ihrem Tod tritt eine Verfassungsänderung in Kraft, die es den Gerichten erlaubt, das Vermögen der Drogenbarone einzufrieren, auch wenn nicht abschließend bewiesen ist, dass das Geld aus kriminellen Aktivitäten stammt. Eine nicht unumstrittene Verfassungsänderung.

Neue Polizeieinheit

Flankierend dazu wird eine neue Polizeieinheit geschaffen, die Vermögenswert ungeklärter Herkunft beschlagnahmt und einzieht. All das führt dazu, dass ein Jahr nach dem Mord an Veronica Guerin die Verbrechensrate um ganze 15 % zurückgeht.

Und Veronica Guerins Mörder und deren Komplizen?

Charles Bowden, eine Mitglied der Gang um John Gilligan, tritt als Kronzeuge in dem Mord-Verfahren auf. Er sagt gegen seine ehemaligen Kumpanen aus. Er ist der erste Bürger Irlands, der in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird. Die Männer, die mit dem Mord an Veronica Guerin in Zusammenhang stehen, sind im folgenden:

John Gilligan

Obgleich in dem Verfahren um den Mord an Veronica Guerin viele Indizien in seine Richtung als Drahtzieher deuten, reichen diese nicht aus, um ihn zu überführen. Später wartet aber dennoch das Gefängnis auf ihn, denn man verurteilt ihn wegen Drogenhandels zu 28 Jahren Haft. Davon verbüßt er 17 und kommt danach frei. Kaum in Freiheit, wird er Opfer eines Mordanschlags. Er flieht aus Irland und hält sich seitdem in Spanien auf.

Brian Meehan ein Handlanger John Gilligans

Er kann gemeinsam mit John Traynor nach Holland fliehen und lebt dort und in Spanien auf der Flucht vor der Polizei. In Amsterdam verhaftet ihn 1997 die Polizei und liefert ihn nach Irland aus. Dort wird es des Mordes an Veronica Guerin überführt und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Es konnte nachgewiesen werden, dass er der Fahrer des Motorrads war, von dem aus vermutlich Patrick Holland die tödlichen Schüsse auf die Journalistin abfeuerte. Sein Vermögen wird eingefroren. Heute sitzt er im Wheatfield Gefängnis ein, das sich im Westen Dublins befindet.

Patrick Holland ebenfalls ein Handlanger John Gilligans

Charles Bowden sagt aus, er hätte die Mordwaffe in einem Treffen vor dem Mord an Patrick Holland übergeben. Dieser bestreitet das. Wegen dringenden Mordverdachts nimmt man ihn fest. Er wird jedoch „nur“ wegen Drogenbesitzes zu 20 Jahren Haft verurteilt. 12 davon verbüßt er. Auch sein Vermögen wird eingefroren. Bis zu seinem Tod bestreitet er, der Todesschütze gewesen zu sein.

John Traynor

Kein unbekannter in der irischen Kriminalitätslandschaft – zur Deckung betreibt er ein Bordell in einem Massage-Salon. Er wird zu einem wichtigen Informant für Veronica Guerin. Er ist es auch, der hinter dem Anschlag in ihrem Haus steht, der für sie glimpflich – mit einem Schuss ins Bein endet. Um ein Buchprojekt von ihr über seine Verwicklungen in die organisierte Kriminalität zu verhindern, soll er John Gilligan den entscheidenden Tipp gegeben haben, wo sich die Journalistin aufhielt. John Gilligan bestreitet dies später und macht John Traynor zum alleinigen Verantwortlichen für ihren Tod. Traynor flieht nach dem Mord nach Portugal und wird später gemeinsam mit Brian Meehan festgenommen … und dann wieder freigelassen. Nach einem erneuten Gefängnisaufenthalt wird er 2012 freigelassen und soll im Südosten Englands leben.

Gerry Hutch “The Monk”

Er steckt hinter den zwei brutalsten Raubüberfällen in der irischen Geschichte und ist auch in einer Schießerei im Regency Hotel in Dublin verwickelt. Er flieht aus Irland und hält sich in Spanien versteckt. Am 21. August 2021 wird er von einer Sondereinheit der spanischen Polizei an der Costa del Sol erkannt und festgenommen.

Auf den Spuren von Veronica Guerin durch Dublin

Im Garten von Dublin Castle steht seit dem Jahr 2001 eine Büste von ihr, die die Aufschrift trägt “Be not afraid”.

In der Nähe des Ortes, an dem sie erschossen wurde, an der Ecke der Old Naas Road und der Boot Road gibt es eine Plakette, die an sie erinnert.

Ihr Grab befindet sich auf dem Dardistown Friedhof. Dieser liegt am nördlichen Stadtrand Dublins in der Nähe des Dublin Flughafens.

Wenn Euch die Geschichte von Veronica Guerin berührt, so sei Euch der Film “Die Journalistin” mit Cate Blanchett in der Hauptrolle ans Herz gelegt. Sie haucht der schillernden Persönlichkeit von Veronica Guerin neues Leben ein und macht ihre Leistungen unvergessen.