Irland in der Neuzeit

Captain Boycott & der Ursprung von „Boykott“

Land War Captain Boycott
Written by Neil Saad

Die meisten Begriffe nutzen wir in unserem Alltag, ohne zu hinterfragen, worin ihr Ursprung liegt. Diesen zu erforschen, ist aber spannend, denn: Der Ursprung vieler Wörter lässt sich über viele Jahrhunderte der Sprachentwicklung zurückverfolgen. Andere Begriffe wiederum haben einen skurrieln Ursprung. So wie das Wort „Boykott“. Dieses geht auf den englischen Landverwalter Charles Cunningham Boycott zurück. Dafür ausschlaggebend, dass sein Name Eingang in die Wörterbücher erhielt, ist sein Umgang mit den Pächtern in der Grafschaft Mayo während des irischen Land Wars Ende des 19. Jahrhunderts. Im Artikel blicken wir auf die Geschichte von Captain Boycott, der nie ein wirklicher Captain war und wie es dazu kam, dass er bis heute Eingang in den Sprachgebrauch gefunden hat.

Wer war Captain Boycott?

Charles Cunningham Boycott (1832 bis 1897) ging in frühen Jahren in die englische Armee. Mit achtzehn Jahren kam er nach Irland. Zunächst war er in Belfast und Newry stationiert, schließlich in Dublin. Dort heiratete er 1852. Jedoch litt er zeitgleich an einer Krankheit. Deshalb trat er Ende 1852 aus dem Militärdienst aus und zog in die Grafschaft Tipperary. Dort pachtete er einen Bauernhof.

Durch verschiedene Erbschaften kam Boycott zu ein wenig Geld. Mit diesem pachtete er 1854 Land am äußersten Westrand von Achill Island. An der wunderschönen Keem Bay, heute ein beliebtes Ausflugsziel, baute er ein Haus. Sein Leben war in der Folge von den Widrigkeiten eines Bauern im Westen von Irland geprägt. Schlechte Böden, hartes Wetter und die Isolation der Insel machten dem Engländer zu schaffen. Zudem heißt es, der ehemalige Soldat war unter den Einheimischen wenig beliebt. Die Folge waren viele Streitigkeiten mit seinen Nachbarn. Hieraus leitet sich der spöttische Name „Captain“ Boycott ab. Ein Rang, den er zu Dienstzeiten nie bekleidete. Dennoch galt er als guter Farmer, der unter den kargen Voraussetzungen das Beste aus seinem Land holte. Nichtsdestotrotz verließ Boycott nach zwanzig Jahren Achill Island und zog an den Lough Mask. Sein einstiges Haus ist heute als Ruine oberhalb der Keem Bay vom Strand aus gut erkennbar.

Lough Mask County Mayo

Der Lough Mask ist der viertgrößte Süsswassersee der Republik Irland (Foto: Yvonne Treptow-Saad)

Captain Boycott und seine Rolle im irischen „Land War“

Im Jahr 1873 zog Charles Boycott an die Ostseite des Lough Mask im Süden der Grafschaft Mayo. Dort erhielt er von dem Großgrundbesitzer Lord Erne das Lough Mask House samt Ländereien als Pachtfläche. Von dort aus verwaltete er für den Lord das sechshundert Hektar große Landvermögen. Wiederum auf diesem Land gab es zahlreiche Pächter. Dazu siedelten viele Arbeitskräfter auf dem Grund, die für den Lord oder dessen Pächter arbeiteten. Als Vertreter des Lords kümmerte sich Charles Boycott um alle Belange. Darunter hatte er die Aufgabe, die jährliche Pacht zu kassieren – und notfalls zahlungsunfähige Pächter zu vertreiben.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts steckte Irland noch mitten in den wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen der großen, irischen Hungersnot (1845 bis 1849). Nachdem Millionen starben und weitere Millionen auswanderten, verblieb ein Rest, vor allem arme Landarbeiter und Bauern im Land. Trotz der schlechten Rahmenbedingungen schuldeten diese ihren Verpächtern wie dem Lord Erne jährlich die Landpacht. Allerdings waren viele Menschen auch in den 1870ern oftmals nicht in der Lage, diese Schuld zu begleichen. In der Folge vertrieben die Landbesitzer die Pächter aus ihren Häusern.

Dem zu entgegnen gründete sich 1879 die Irish Land League. Hierbei handelte es sich um eine Interessensvertretung der irischen Bauern. Ihr Ziel war es, bessere Lebensverhältnisse für die Ärmsten zu schaffen. Dies sollte durch niedrigere Pachten und den Erhalt von mehr Rechten geschehen. Dafür mobilisierte die Irish Land League die Bauern. Ihre berühmtesten Vorkämpfer waren Charles Stewart Parnell und Michael Davitt. Nach Letzterem ist die moderne Brücke benannt, die heute Achill Island, Boycotts einstigen Wohnsitz, mit dem Festland verbindet.

National Land League

Rathfelder, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Boycott wird boykottiert

Nachdem es die Irish Land League schaffte, viele Bauern hinter sich zu versammeln, ging sie in den Angriffsmodus über. Wo Pächter von ihrem Land vertrieben werden sollten, da organisierte sie umgehend Proteste. In einem ersten Erfolg senkte ein Verpächter die jährliche Pacht direkt um 25 %. Dies ermutigte viele. So geriet als nächstes Charles Boycott ins Visier. Als sich mehrere Pächter weigerten, die jährliche Pacht zu zahlen, veranlasste Boycott im Namen des Lord Erne die Vertreibungen der säumigen Zahler.

Jedoch organisierte sich umgehend Widerstand. Erfolglos musste sich Boycott samt seiner Truppe von Eintreibern in das Lough Mask House zurückziehen. Doch die aufgebrachte Menge folgte ihm. Die wütenden Iren bedrohten seine Angestellten und forderten jeden auf, die Arbeit für Boycott niederzulegen. Viele der Angestellten, sei es aus Angst, sei es aus Überzeugung, folgten der Aufforderung. Captain Boycott, der kurz vor der Ernte, völlig allein da stand, wurde noch weiter ausgegrenzt. Die Post zu seinem Haus wurde aufgehalten, in den lokalen Geschäften wurde er nicht mehr bedient. Boycott wurde boykottiert.

Der Boycott Relief Fund und die Rettung der Ernte

Derart aus der kleinen Gemeinde im ohnehin isolierten Westen von Irland ausgegrenzt, wandte sich Boycott an die Öffentlichkeit. In einem Leserbrief beschrieb er seine Lage. Darin beschrieb er seine mißliche Lage und beklagt sich über die fehlende Durchsetzung von Recht und Ordnung im irischen Westen. Der Brief blieb nicht ohne Reaktion. Tatsächlich formierten sich Unterstützer. Es gründete sich in der stark englisch geprägten Grafschaft Ulster der Boycott Relief Fund. Daraus konnten Arbeiter bezahlt werden, die extra aus dem Norden anreisten, um die Ernte auf den Ländereien des Lord Erne einzubringen.

Beschützt von englischen Soldaten arbeiteten diese Landarbeiter auf dem Anwesen. Sämtliche Versorgung musste von außerhalb organisiert werden. Denn auch die Neuankömmlinge wurden von den Einheimischen gemieden und nicht unterstützt. Letztlich retteten sie aber Charles Boycotts Ernte und zogen wieder ab. Die Aktion verursachte 10.000 Pfund an Kosten. Dagegen betrug der Wert der Ernte lediglich zwischen 350 und 500 Pfund.

Boycott und seine Familie verließen kurz darauf die Grafschaft Mayo. Über Dublin gingen sie für eine Zeit in die USA und kehrten schließlich nach England zurück. Die Irish Land League setzte in der Folge weiter auf ihren Kurs des Boykotts. Erfolgreich. Binnen dreißig Jahren erkämpften sie zahlreiche Rechte für die Pächter und erreichten letztlich Anfang des 20. Jahrhunderts die Neuverteilung des irischen Landbesitzes.

Den Begriff „Boykott“ soll der Priester O’Malley aus der Gemeinde von Captain Boycott zuerst genutzt haben. Heute ein stehender Begriff, verbreitete sich das Wort vom Lough Mask aus in die Welt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts findet sich das Wort in den Wörterbüchern der Welt. Als fragliches Vermächnis des Captain Boycotts.

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Über den Autor

Neil Saad

Bereits seit 2009 bereiste ich Irland mehrmals im Jahr und zu jeder Jahreszeit. Im Herbst 2021 zog ich schließlich auf die Grüne Insel und lebe seit dem im Kingdom of Kerry. Besonders das Wandern in Irland hat es mir hier angetan und so erkunde ich zu Fuß die irischen Gebirge und Wanderwege. Aber auch auf klassischen Road Trips liebe ich es, das Land immer wieder neu zu entdecken. Dabei bevorzuge ich das Prinzip des Slow Travel, denn gerade in Irland ist weniger ganz oft so viel mehr. Mit der Liebe zur grünen Insel kam auch der Wunsch, über Land und Leute zu schreiben und möglichst viele Menschen daran teilhaben zu lassen.

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