Irland Traditionen

Eddie Lenihan – Irlands letzter Seanchaí

irische Feen
Written by Ina Brecheis

Drei kleine Hunde laufen uns bellend und knurrend aus einem Hauseingang entgegen, der von Büschen und Bäumen gänzlich zugewuchert ist. „Fresst sie! Fresst sie auf!“, stachelt ein klein gewachsener Ire mit einem buschigen Bart und einer wilden Mähne grauer, drahtiger Haare die Drei an. Wüssten wir nicht, wen wir da vor uns haben, wir würden auf dem Absatz kehrtmachen und das Weite suchen. Aber wir wissen, wer uns da auf eine so charmante Weise mit wachen, schelmisch lachenden Augen begrüßt. Es ist Eddie Lenihan – ein Urgestein in Irland. Er ist einer der letzten irischen Storyteller, ein sogenannter Seanachie oder auch Seanachai. Und er hat uns zu sich nach Hause eingeladen.

Eddie Lenihan – ein irisches Urgestein

Sein Heim ist nicht klein, aber eng. Jeder freie Zentimeter seines Hauses scheint übersät mit Skripten und Büchern. Überall stapeln sie sich: schmale, Dicke, Große, Kleine, Bunte und Einfarbige. Der Kamin seines Wohnzimmers versinkt hinter kunstvoll gestapelten Türmen, die so aussehen, als könnten sie beim leisesten Windhauch raschelnd in sich zusammenfallen. So viele Welten zwischen Buchdeckeln verborgen. Ich bin noch ganz benommen von der Atmosphäre des Raumes und so entgeht mir Eddies Frage. Ob wir lieber Kaffee oder Tee trinken möchten, hakt er nach und verschwindet nach unserer Antwort in der Küche. Wir hören es rumpeln und klirren. Dann erklingt das sonore Summen der Kaffeemaschine. Wir blicken uns an. Hinter uns tickt eine Uhr.

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Dann ertönen die schlurfenden Schritte von Eddie, der mit zwei Tassen dampfenden Kaffees und einem Teller Kekse ins Wohnzimmer zurückkommt und sich in den Armsessel uns gegenüber fallenlässt. Wie sehr hatte ich mich auf diesen Moment gefreut. Seit ich ein Interview mit Eddie Lenihan gelesen hatte und mich durch eines seiner Bücher über die Fairies habe treiben lassen, wollte ich diesen Mann kennenlernen. Nun sitzen wir ihm also gegenüber und ehe wir uns versehen, sind wir schon mittendrin in seinem Element. Dem Geschichtenerzählen.

Ein Storyteller wird man nicht – man ist es

Eines wird mir schnell klar. Eddie arbeitet nicht als Storyteller, er ist es. Es braucht keinen Vorhang, keine Bühne. Er spricht über seinen vergangenen Tag; im Grunde nichts Besonderes und doch vergisst man alles um sich herum. Taucht ein in seine Erzählung, lacht, ertappt sich mit offenem Munde lauschend und vergisst die Zeit. Meine so sorgsam vorbereiteten Interviewfragen sind vergessen, ja, interessieren mich nicht länger. Ich weiß nicht mehr, wie er den Bogen von seinem Alltag hin zu dem Stoff geschlagen hat, aus dem irische Legenden sind.

Auf einmal sind wir aber bei den Fairies angelangt. Irische Feen, wird Eddie nicht müde zu betonen, sind alles andere als die netten, süßen Geschöpfe aus den weich gewaschenen Disney-Filmen. Sie können ruchlos, böse, hinterhältig und grausam sein, aber auch mitfühlend und hilfsbereit. Man ist aber doch auf der sicheren Seite, wenn man ihnen nicht zu nahe kommt.

Wie die Fairies in die Welt kamen

Eines schönen Tages, Gott war gerade auf das gewisse Örtchen entschwunden und der Erzengel Gabriel bereitete sich in der Küche gemütlich eine Tasse Tee zu, als Luzifer die Gunst der Stunde nutzte und den goldenen Thron des Herrn stahl. Unter ihm tat sich der Himmel auf und er stürzte hinab. Mit ihm aber fielen zahlreiche weitere Engel durch die Öffnung des Himmels. Sie fielen durch die Luft, fielen in Seen, in Flüsse, auf Berge, in die Erde. Der Erzengel Gabriel hörte die Schreie der Engel, die durch das Loch stürzten und er wrang hilflos seine Hände. Da kam Gott vom gewissen Örtchen zurück und war gerade dabei, sich den Hosenlatz zuzumachen, da sah er das Loch, das sich vor im auftat und er klatschte ein Mal in die Hände. Darauf gefroren die Bewegungen der stürzenden Engel und sie verharrten, wo sie gerade waren. Einige waren in der Luft, einige im Wasser, im Boden oder auf den Bergen. So kam es, dass es Luft-Fairies gibt, solche, die Seen und Flüsse bewohnen, jene, die tief in der Erde hausen oder hoch droben auf Berggipfeln. Nur Luzifer, der durch das Gewicht des goldenen Thrones mit besonderer Wucht gefallen war, war schon tief drunten in den Tiefen der Hölle, wo der Herr der Finsternis noch heute sein tristes Dasein fristet.

Eddie Lenihans Berufung

Auf Geschichten wie diese stößt Eddie nicht aus purem Zufall. Vielmehr birgt er sie mit größter Sorgfalt. Er reist über die Grüne Insel und lässt sie sich von alten Leuten erzählen, die noch die langen irischen Winter erlebt haben. Winter ohne Fernseher, Smartphone und Internet. Winter, in denen man gemeinsam vor dem offenen Torffeuer saß und einer eine bessere Geschichte zu erzählen wusste als sein Vorredner. Diese Geschichten, sagt Eddie, sind wie ein Schatz, der nach und nach verschwindet, da die Geschichten mit den Menschen sterben, die sie erzählen könnten. Und so sammelt er unermüdlich Geschichte um Geschichte. Seine Tonbandaufnahmen stapeln sich fein säuberlich beschriftet und wohl sortiert in einer Ecke des Wohnzimmers. Nur einen Bruchteil davon hat er in seinen Büchern festgehalten. Der Großteil davon wartet unerzählt auf das Ohr eines Zuhörers. Aber wer wird die Geschichten erzählen, wer wird sie sammeln, wenn Eddie einmal nicht mehr ist? Noch ist er agil, springt bei seinen Geschichten lebhaft auf, gestikuliert wild mit den Händen oder jagt eine imaginäre Person mit einem Fußtritt aus dem Hause. Aber auch er wird älter. Als ich ihn frage, was mit all seinen Tonaufnahmen geschehen wird, wird er nachdenklich. „Wahrscheinlich werden sie weggeworfen“, meint er „oder aber ich vermache sie dem Trinity College“. In seiner Stimme schwingt Bedauern und er blickt uns lange an, bevor er sagt: „Wenn wir unsere Geschichten vergessen, dann vergessen wir uns selbst.“

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Über den Autor

Ina Brecheis

Ich habe mich während meines Studiums in Dublin in Irland verliebt. Zuvor war da nur eine vage Anziehung zu diesem Land mit seiner lebensfrohen Musik und lebendigen Kultur. Dort war es dann um mich geschehen und ich habe eine unvergessliche Zeit auf der Grünen Insel verbracht. Seither zieht es mich immer wieder dorthin zurück. Umso mehr freue ich mich, über mein grünes Lieblingsland hier bei gruene-Insel.de zu schreiben.

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