Irland hat bis heute den Ruf, ein mit Mythen und Sagen durchwobenes Land zu sein. Hierbei schimmern diese vielerorts durch die dünne Oberfläche der Vergangenheit. Mal unscheinbar, mal deutlich hervortretend. Sie drücken sich in Bauwerken, in der Kunst und in noch heute lebhaften Bräuchen aus. Dabei verschwimmen deren Ursprünge zwischen steinzeitlichen, keltisch-gälischen sowie den christlichen Einflüssen des Mittelalters. Einer jener Bräuche, deren Herkunft und Bedeutung vielerlei Interpretationen unterliegt, ist der Brauch des Wren’s Day in Dingle. Obwohl auch anderorts noch jährlich am 26. Dezember zelebriert, ist dieser uralte, heidnische Brauch im Küstenort in Kerry am stärksten Präsent. Dort ziehen jedes Jahr am Tage nach dem Weihnachtstag die Menschen verkleidet in Paraden durch die Straßen. Dabei steht der Zaunkönig, auf Englisch „Wren“ genannt, im Mittelpunkt.
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Der Wren’s Day in Dingle
Den Wren’s Day begehen die Iren in Dingle und andernorts jährlich am 26. Dezember, dem Tag nach dem Weihnachtsfest. Hierzu verkleiden sich die Menschen als Wren Boys. Dabei handelt es sich um aus Stroh hergestellte Kostüme, die sowohl den Körper als auch den Kopf verdecken. In einer Prozession, begleitet von Musik, ziehen sie sie durch die Straßen. Zentrale Bedeutung für den Tag und die Feierlichkeiten hat der Zaunkönig. Hierbei reicht diese Tradition Jahrhunderte zurück. Deshalb heißt der zweite Weihnachtstag in Irland auch offiziell Wren’s Day. Oder auf Irisch: Lá an Dreoilín – Der Tag des Zaunkönigs.
The Wren: Der Zaunkönig als listige König der Vögel
Wie der Zaunkönig zu der Ehre kam, einen Feiertag nach sich benannt zu bekommen, ist umstritten. Viele Geschichten ranken sich um diesen kleinen, eher unscheinbaren Vogel. Dabei hängt ihm der Ruf an, besonders trickreich und gewieft zu sein. So besagt die Legende, während eines Treffens aller Vögel, sei es zu einem Wettbewerb gekommen. Dabei war es das Ziel, den König der Vögel zu ermitteln. Hierzu flogen die Vögel so hoch in den Himmel, wie sie nur konnten. Jener Vogel, der am höchsten aufsteigen kann, ward zum König gekrönt. So stieg der Adler mit seinen kräftigen Schwingen am höchsten auf. Als er sich wieder auf den Weg hinab machte, stieß sich der Zaunkönig aus des Adlers Gefieder ab, in dem er sich versteckt hielt. Er schwang sich ein Stück höher hinauf als der Adler zuvor und ward durch diesen Trick höher in der Luft gewesen als alle anderen Vögel. Somit krönte der Rest ihn zum König der Vögel.
Eine weitere unrühmliche Legende rankt sich um den Zaunkönig. So wirkte einst der Heilige Stephanus als einer der ersten Missionare nach Jesus Tode. Verfolgt von den Römern, versteckt er sich. Jedoch verriet ihn ein Zaunkönig durch sein lautes Gezwitscher. Die Römer ermordeten Stephanus. Hierdurch wurde dieser zum ersten christlichen Märtyrer. Ihm zu Ehren heißt der 2. Weihnachtsfeiertag vielerorts auch Stephen’s Day.
Hierin tritt nun erstmals eine Zusammenhang zwischen dem Zaunkönig und dem 26. Dezember zu Tage. Allerdings begann die Tradition des Wren’s Day in Dingle und im Rest von Irland mitnichten erst während des entstehenden Christentums. Viel mehr vermuten Historiker, dass dich der irische Name Dreoilín aus den irischen Wörtern Draoi und Èan ableitet. Übersetzt bedeutet dies „Druidenvogel“. Angeblich war es Brauch, dass die irischen Druiden den Zaunkönig fingen, töteten und an der Spitze einer Prozession vor sich her trugen. Warum sie dies taten, bleibt in der Vergangenheit verborgen. Auch die Frage, ob hieraus berets die Praxis entstand, sich in Strohkostümen als Wrenboys zu verkleiden, ist unbekannt.
Die Ursprünge des Wren’s Day in Dingle
So ist es möglich, dass aus der frühen keltischen Tradition der Druiden, eine christliche Version entstand und die ursprüngliche ablöste. Dabei stand in der christlichen Version der Verrat des Zaunkönigs und das Martyrium des Heiligen Stephanus im Mittelpunkt. Darin begründen viele noch heute den Brauch, den Vogel zu töten: Rache für seinen Verrat am Heiligen Stephanus. Jedenfalls blieb die Tradition, den Zaunkönig zu fangen, zu töten und in einer Prozession von verkleideten Wrenboys durch den Ort zu tragen. Die Tradition des Wren’s Day in Dingle und an anderen Stellen in Irland drückt sich in einem traditionellen Lied über den Feiertag Lá an Dreoilín aus:
„The Wren, the Wren, the King of all Birds. On Stephen’s Day was caught in a Furze.“
(„Der Zaunkönig, der Zaunkönig, der König aller Vögel. Am Stephanustag ward er in einem Stechginsterbusch gefangen.“)
Hierbei waren es in moderneren Zeiten nicht überall Paraden, bei denen das Einfangen eines Zaunkönigs am zweiten Weihnachtstag festlich gefeiert wurde. Vielmehr war es Tradition, dass Jugendliche als Wrenboys verkleidet von Tür zu Tür zogen und Geld einsammelten. Dieses spendeten sie einem guten Zweck. Hierzu besagt das Zaunköniglied:
„Up with the kettle and down with the pan. Give us a penny to bury the Wran.
If you haven’t a penny, a halfpenny will do. If you haven’t a halfpenny: God bless you!“
(„Hoch mit dem Kessel und runter mit der Pfanne. Gebt uns einen Penny um den Zaunkönig zu begraben.
Habt ihr keinen Penny, ist ein halber Penny auch gut. Falls ihr keinen halben Penny habt: Gott segne euch!“
Wren’s Day in Dingle: Keltische Tradition oder christlicher Brauch?
Jedoch einst auf der Grünen Insel weit verbreitet, verschwand diese Tradition nach und nach. Heute findet der Wren’s Day vor allem in Dingle statt. Dabei erscheint es ein jüngeres Phänomen, den Wren’s Day wieder als Parade zu feiern. Darin ist die keltische Tradition erkennbar, bei der einst der Druide einer Prozession vorstehend daher zog. Allerdings verzichten die Wrenboys heutzutage darauf, den Zaunkönig zu fangen und zu töten. Tatsächlich galt der Zaunkönig eine Zeit lang in Irland als vom Aussterben bedroht. Zum Glück hat sich seine Population erholt. Dennoch steht der Zaunkönig im Mittelpunkt des Wren’s Day in Dingle. Wenngleich als künstliche Variante.
Den Wren’s Day in Dingle feiern
In Dingle auf der gleichnamigen Halbinsel im County Kerry ist der Wren’s Day das größte Fest im Winter eines jeden Jahres. Dabei bilden sich ab dem Mittag des zweiten Weihnachtsfeiertages gleich vier Prozessionen, die durch Dingle Town ziehen. Diese vier Züge organisieren vier unterschiedliche Gruppen. Die Gruppen, selbst auch als „Wren“ bezeichnet, haben ihre Hauptquartiere in vier lokalen Pubs im Ortszentrum. Schon in den Wochen vor dem Wren’s Day basteln sie dort ihre Kostüme. Dabei unterscheiden sich die Gruppen in den Farben. Während sich heutzutage nicht mehr alle Teilnehmer in Strohkostümen als Wrenboys verkleiden, sind sie dennoch farblich ihrer jeweiligen Gruppe zuteilbar. Wer sich als Wrenboy verkleidet, bindet Bänder in den Gruppenfarben an sein Kostüm. Ansonsten können die Verkleidungen aus jeder Form von Kostüm bestehen. Dadurch kommt es zu teils witzigen Kostümierungen als Weihnachtsmänner oder Grinch. Hauptsache, die Gruppenfarben finden sich in der Verkleidung wieder und ein jeder ist bis zur Unkenntlichkeit kostümiert.
Dazu üben die Gruppen ihre eigene Musik für ihre Parade ein. Am Wren’s Day selbst ziehen sie dann durch Dingle, spielen Musik und sammeln von den Umstehenden Geld für gute Zwecke ein. Hierbei gibt es Umstehende zur Genüge. Denn auch Menschen von außerhalb besuchen am Wren’s Day Dingle um dem fröhlichen Treiben beizuwohnen.
Große Party oder alter Brauchtum?
Angeführt werden die Prozessionen von einer Person. Dabei ist diese regelmäßig als Pferd verkleidet. Dahinter steckt die Idee, dass einst die wichtigsten Personen stets hoch zu Pferde unterwegs waren. Lässt sich daraus ableiten, dass die Druiden einst auf Pferden ritten? Oder waren es später die wichtigen Kirchenmänner, die auf einem Ross der Prozession vorstanden? Dazu gibt es keine genauen Informationen.
Begegnen sich zwei Wren-Gruppen auf ihrem Weg durch den Ort, kommt es zu einer spielerischen Auseinandersetzung. Dabei wird laut geschrieen und auf die Trommeln geschlagen. Jedoch am Ende bleibt es in Dingle stets friedlich. Sowohl die Zaunkönige auf der Halbinsel im Südwesten Irlands bleiben unberührt und in Dingle treffen sich am späten Nachmittag alle auf der Brücke nahe des Ortskerns. Dort singt man gemeinsam und beendet den Wren’s Day in Dingle mit einem Ausklang in den vielen Pubs.
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