Irland Traditionen

Mein irisches Weihnachten

Mein irisches Weihnachten
Written by Nadja Uebach

In der kühlen Nachtluft vermischt sich die salzige Atlantikluft mit dem unverwechselbaren Geruch unzähliger Torffeuer, der mein Herz sofort in ein wohlig warmes Zuhause-Gefühl hüllt. Mit leuchtenden Augen folgen die Blicke meine Kinder ihrem Atem, der in kleinen Wölkchen zu den Lichterketten aufsteigt, die sich im Zickzack über unseren Köpfen einen Weg zwischen den bunten Ladenfronten der Main Street bahnen. Aus den Pubs hallt herzhaftes Gelächter und auf dem Platz am Ende der Straße stimmt die Schulband mit ihren Blechflöten die ersten Noten zu ‚Jingle Bells‘ an. Es ist die Zeit des Jahres, in der man Liebe und Vorfreude beinahe Greifen kann, in der uralte Traditionen Ruhe und Besinnlichkeit in unser viel zu schnelles Leben bringen. Eine Zeit, in der die Grüne Insel noch einzigartiger ist als sonst und meine Seele jedes Jahr mit Genügsamkeit, Dankbarkeit und Liebe füllt. Es ist Zeit für mein irisches Weihnachten, in das ich Euch einen kleinen Einblick gewähren möchte.

Vor der Besinnlichkeit die Late Late Toy Show

Late Late Toy Show

Late Late Toy Show

Das erste Mal von der Toy Show gehört habe ich vor über zehn Jahren, meine Kollegen schwärmten von der Late Night Talk Show, die sich einmal im Jahr in ein Weihnachtsspektakel verwandelt. Richtig erklären konnte es mir allerdings keiner. Ein irisches Weihnachten ist ohne diese Sendung jedoch kaum möglich. Erst einige Jahre später erlebte ich meine erste Toy Show. Das Motto lautete Mary Poppins und ich war hin und hergerissen zwischen Verwunderung, Begeisterung und Verwirrung. Es war mir zunächst ein Rätsel, was es mit dieser farbenfrohen, lauten und durchaus hektischen Produktion auf sich hatte. Warum fieberte die gesamte Inselnation seit Jahrzehnten auf diesen Freitagabend Ende November hin?

Liebe auf den zweiten, dritten oder vierten Blick

Im Gegensatz zu meiner Liebe auf den ersten Blick mit Irland selbst, musste ich die Late Late Toy Show wohl einfach etwas besser kennenlernen. Mit dem eisernen Willen, den Hype um diese Show zu verstehen, saß ich jedes Jahr wieder vor dem Fernseher und mit jedem dieser Jahre, wurde mein Herz weicher und die Vorfreude größer. Besonders seit meine Kinder alt genug sind, und nicht mehr vor Showbeginn einschlafen, ist die Toy Show ein fest eingeplanter Termin in unserem Kalender und markiert den Start in die Vorweihnachtszeit. Toy Show Day ist auch der Tag, an dem wir den Weihnachtsbaum aufstellen und schmücken, unsere Lichterketten aufhängen, die ersten Plätzchen backen (oder kaufen) und Weihnachtslieder hören. Es ist ein Tag, der mit einem Countdown einhergeht und der nicht nur bei meinen Kindern für aufgeregtes Bauchkribbeln sorgt.

Die Late Late Toy Show ist allerdings nach wie vor schwer in Worte zu fassen. Es ist eine Show, die sich dem Namen nach zwar um Spielsachen drehen soll, die sich jedoch in erster Linie um Kinder dreht. Hier kommen die Kleinen ganz groß raus, egal woher sie kommen, wer ihre Eltern sind oder welche Fähigkeiten sie haben – in der Toy Show sind alle Kinder gleich. Dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Sendung und sorgt dabei nicht selten für emotionale Momente. Doch wirklich erklären kann man es dennoch nicht, die Late Late Toy Show muss erlebt und unter Umständen ‚kennengelernt‘ werden.

Tipp: Die Toy Show kann über den RTÉ Player auf der ganzen Welt live gestreamt werden. Die 2022 Toy Show ist ebenfalls auf dem Player verfügbar – einfach hier klicken und in Euer eigenes irisches Weihnachten abtauchen.

Mein irisches Weihnachten: Die Adventszeit auf der Grünen Insel

Nachdem die Late Late Toy Show offiziell die irische Vorweihnachtszeit eingeläutet hat, erfreut man sich in den Straßen der Dörfer sowie auf dem Land an der wachsenden Pracht der Weihnachtsbeleuchtung. In den Städten und vielen Dörfern ist das Anschalten der Weihnachtsbeleuchtung eine vorweihnachtliche Veranstaltung, die sich besonders Familie nur selten entgehen lassen.

Lichterglanz und Familientraditionen

Weihnachten Dublin

Lichterglanz in Dublin

Während in den Städten vielerorts mit der Beleuchtung auch der Weihnachtsmarkt eröffnet wird; kommen die Bewohner kleinerer Gemeinden gemütlich auf dem Dorfplatz zusammen. Das Highlight meiner Kinder ist natürlich Santa. In manchen Jahren legt er sogar höchstpersönlich den Schalter um und taucht die kleinen Straßenzüge in einen festlichen Glanz. Wie in vielen anderen Ländern gibt es in Irland die ‚Weihnachtshäuser‘. Das sind normale Wohnhäuser, die sich zur Weihnachtszeit mit spektakulären Lichterinstallationen besonders in Schale werfen und dabei nicht selten Spendengelder für gute Zwecke sammeln. Der Abend, an dem wir mit heißer Schokolade und deutschen Lebkuchen im Gepäck diese beeindruckenden Häuser bestaunen, ist mittlerweile zur Familientradition geworden.

Der Besuch beim Weihnachtsmann

Ein Besuch bei Santa ist für ein irisches Weihnachten Pflichtprogramm. Für meine und wohl alle Kinder in Irland ist das der unumstrittene Höhepunkt der Vorweihnachtszeit. Während wir unsere Wunschzettel bereits Ende November mit der Post an den Nordpol schicken – und dank einer tollen Initiative von An Post im Laufe der Adventszeit auch eine Antwort erhalten – gibt es wohl nichts Magischeres, als den Mann in Rot persönlich zu treffen.

Das ist auf der Grünen Insel ab Ende November an unzähligen Orten möglich. Von Einkaufszentren über Veranstaltungshallen, bis hin zu Hotels oder Märkten. Zudem hat man die Wahl zwischen einem kurzen persönlichen Gespräch mit Santa, der von einem kleinen Präsent und einem Foto fürs Familienalbum gekrönt wird oder einem aufwendigen Weihnachtserlebnis. Bei Letzterem bekommt man nicht nur den Weihnachtsmann zu Gesicht. Stattdessen backt man mit Mrs. Claus Plätzchen, entdeckt die Poststation der Weihnachtswichtel oder fährt mit dem Weihnachstzug an den Nordpol. Familien erkunden den geheimnisvollen Wald der Wichtel, basteln, lachen, singen und füttern manchmal sogar Rentiere. Ein Erlebnis, das ich so aus meiner Kindheit in Deutschland nicht kenne. Allerdings ist es auch für mich als Erwachsene eine durch und durch magische Erfahrung, auf die ich mich jedes Jahr freue!

Weihnachten in Irland

Der Advent als Zeit der Liebe und Freundlichkeit

Wenn die Tage kürzer und kälter werden, schwingt beinahe automatisch ein Hauch von Dankbarkeit in unserem Alltag mit. Dankbarkeit für einen gesunden Körper, ein warmes Zuhause, eine leckere Mahlzeit, unsere Familie und Freunde und so viel mehr. Es ist zudem eine Zeit, dieser Dankbarkeit Flügel zu verleihen und sie in die Welt hinaus zu senden, um Gutes zu tun.

Gemeinsam mit einer stetig wachsenden Anzahl an Schulen, hat sich die Schule meiner Kinder vor einigen Jahren dazu entschlossen die Hausaufgaben im Dezember durch ein ‚Tagebuch der Freundlichkeit‘ zu ersetzen. Hierbei geht es darum, in der Vorweihnachtszeit Liebe und Freude zu verbreiten. Jeder Wochentag steht unter einem bestimmten Motto und den Kindern sind keine Grenzen gesetzt. Es ist immer wieder herzerwärmend zu beobachten, wie meine Kinder und ihre Freunde diese Aufgaben umsetzen. Nicht nur weil es ihre Hausaufgaben sind, sondern weil sie merken, wie wichtig und schön es ist, freundlich mit seinen Mitmenschen umzugehen und denen zu helfen, die eine helfende Hand gebrauchen können.

Care-Pakete für Senioren

In der Corona-Pandemie hat die irische Post beschlossen, für Pakete an Bewohner von Senioren- oder Pflegeheimen kein Porto zu verlangen. Eine Initiative, die auch mit der Aufhebung der Besuchssperren bestehen blieb. Dank der Arbeit einer Gruppe Freiwilliger ist es Familien seitdem möglich, einem oder mehreren Senioren in einer Einrichtung ein Überraschungspaket zu Weihnachten zu schicken. Einfach, um einem fremden Menschen eine Freude zu machen.

Für uns ist es dieses Jahr das zweite Jahr, in dem wir gemeinsam als Familie ein kleines Päckchen zusammenstellen. Und dank An Post schicken wir es kostenlos an unsere zugeteilte Seniorin. So können wir ein wenig von der Weihnachtsmagie mit ihr teilen, die wir in diesen Wochen erleben. Ich hoffe, dass dies auch zu einer unserer festen Familientraditionen wird.

Mein irisches Weihnachten: Christmas Day und Weihnachten für Frauen

© cottonbro studio, Pixels.de

Der größte Unterschied zwischen einer deutschen und einer irischen Weihnacht ist sicherlich der Tag selbst. Während es in Deutschland der Heilige Abend ist, der im Zeichen der Familie steht und an dem die Bescherung stattfindet, ist in Irland der 1. Weihnachtstag der Tag der Hauptfestlichkeiten.

An Heilig Abend (Christmas Eve) erledigen wir normalerweise unsere letzten Besorgungen, bevor wir es uns bei einem einfachen Abendessen gemütlich machen. Unsere deutschen Einflüsse kommen natürlich nicht zu kurz. Denn das deutsche Christkind kommt trotzdem – inklusive Videochat mit unserer Familie in Bayern. Es ist jedoch der Weihnachtsmorgen, der jedes Jahr einer dieser Momente ist, den man als Mutter wohl nie vergisst. Wenn die Augen der Kinder vor Vorfreude und Erwartung beinahe übergehen und das eigene Herz ein paar Takte schneller schlägt, wenn man das Geflüster in den frühen Morgenstunden aus dem Kinderzimmer hört.

Ob es typisch irisch ist oder nicht, vermag ich nicht zu sagen, aber Christmas Day beginnt bei uns langsam und entspannt. Es gibt Geschenke, Frühstück und Weihnachtsfilme im Schlafanzug. Sogar das Weihnachtsessen bereite ich nicht selten vor dem Anziehen zu. Erst wenn der Tisch gedeckt ist und am frühen Nachmittag die Verwandtschaft eintrifft, startet der offizielle Teil von Weihnachten. Traditionell besteht das Christmas Dinner aus Turkey & Ham mit sämtlichen Beilagen wie Röstkartoffeln, Rotkohl, Rosenkohl, Stuffing und so weiter. Zur Nachspeise wird Christmas Pudding oder Mince Pies serviert. Auf unseren Tisch kommen jedoch auch einige Leckereien aus Deutschland. Dazu gehören selbstgemachte Plätzchen meiner Mama, Lebkuchen, Stollen und natürlich echter Christkindlmarkt Glühwein aus Nürnberg.

Irisches Weihnachten am und im Atlantik

Der Christmas Day Swim ist in Irland eine alteingesessene und beliebte Tradition, sodass ich sie nicht unerwähnt lassen wollte. Auch wenn wir uns zu der Zeit noch im Schlafanzug befinden, wenn sich hunderte hartgesottene Iren in die kalten Fluten stürzen. Am Weihnachtsmorgen kommt man am Strand zusammen, um gemeinsam der Kälte des Atlantiks zu trotzen. Auf das kühle Nass folgt ein Hot Whiskey oder eine heiße Schokolade. Doch das Beste: Es ist alles für einen guten Zweck! Und wer weiß, irgendwann werden wir diese Erfahrung vielleicht auch einmal machen.

St. Stephen’s Day

Der 2. Weihnachtsfeiertag oder St. Stephen’s Day, wie er hierzulande genannt wird, ist traditionell ein Tag fürs Pub. Da zu Weihnachten viele Iren aus aller Welt nach Hause kommen, trifft man alte Bekannte und lang vermisste Freunde an diesem Tag im örtlichen Pub. Man tauscht Geschichten aus und lässt sich natürlich das ein oder andere Pint schmecken.

Als Familie geht es für uns an diesem Tag an den Strand. Für mich ist es nach wie vor ein Geschenk, in weniger als fünf Minuten an einem von unzähligen Bilderbuchstrände zu sein. So gibt es kaum einen Ort, der mich Sommer wie Winter mehr begeistert als die Küste. Je nach Wetterlage verbringen wir mehrere Stunden damit, durch die Dünen zu streunen, unsere Gesichter in den Wind zu halten, kleine Schätze zu sammeln und den Wellen zu lauschen. Bei stürmischem Wellengang bildet sich an einigen Stränden der Region Meerschaum. Dieser bedeutet für uns fast so viel Spaß wie Schnee und sieht auf Bildern auch genauso aus.

Weihnachten mit der Familie am Strand © Nadja Uebach

Wieder zuhause angekommen, gibt es nichts Besseres als ein sogenanntes St. Stephen’s Day-Sandwich, um sich aufzuwärmen. Im Grunde ist das nichts anderes als ein Restesandwich des Vortags, das im Ofen erwärmt und mit Käse überbacken wird. Doch es gibt viele Iren, die ein St. Stephen’s Day-Sandwich dem Christmas Dinner vorziehen würden.

Nollaig na mBan – die Weihnacht der Frauen

Zum Abschluss der Weihnachtszeit findet am 6. Januar Nollaig na mBan oder auch Women’s Little Christmas statt. Die Weihnacht der Frauen ist ein Tag, an dem die Frauen des Landes traditionell die Arbeit ruhen lassen und sich von der geschäftigen Weihnachtszeit erholen können. Stattdessen liegt es an den Männern der Familien, den Haushalt zu schmeißen. Besonders in der Grafschaft Cork spielt diese Tradition auch heutzutage noch eine große Rolle. Man oder besser gesagt Frau trifft sich mit ihren Freundinnen zum Lunch oder Afternoon Tea. Manchmal geht man gemeinsam spazieren und gönnt sich anschließend eine Tasse Kaffee. Ein Brauch, der mir als Frau und Mutter natürlich sehr zusagt. Vor allem weil es am Tag danach an das Abräumen der Weihnachtsdekorationen geht und der 6. Januar so einen gelungenen Abschluss bildet.

Mein irisches Weihnachten: Spiegelbild einer Nation

Es gibt so viele Sprichwörter, die einem angeblich verraten, wie eine Person tickt – zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist –, um eines zu nennen. Doch ich denke, in diesem Fall ist es die Art, wie eine Nation Weihnachten feiert, die zum Spiegelbild ihrer Mentalität und ihres Lebensgefühls wird.

Irland ist ein Land, in dem jeder so sein darf, wie er ist. Jeder gehört dazu, von Anfang an und bedingungslos. Genau diese Einstellung zeigt sich in all den kleinen und großen Momenten einer irischen Weihnacht. Das sieht man bei der Late Late Toy Show und dem Besuch beim Weihnachtsmann. Hier spielen Kinder die Hauptrolle und Inklusion wird großgeschrieben. Genauso wie bei dem ‚Tagebuch der Freundlichkeit‘ und den Care-Paketen für Senioren. Initiativen, anhand die irischen Schulen sowie An Post öffentlich demonstrieren, dass Nächstenliebe und Freundlichkeit wichtiger sind als Hausaufgaben und Profit.

Bis hin zu dem Abschluss der Weihnachtszeit, wo auch die Frauen nicht vergessen werden, die traditionell in dieser Zeit so viel Mehrarbeiten leisten, um ihren Familien unvergessliche Momente zu bescheren. Neben der kommerziellen Seite von Weihnachten, die natürlich auch in Irland viel Platz einnimmt, tut es gut diese Seite zu spüren, die unter all dem Konsum eines modernen Festes den Takt angibt.

Das Beste zum Abschluss: Irisches Weihnachten für Zuhause

Und zum Abschluss dieses Artikels gibt es zwei Dinge, die nicht unerwähnt bleiben können. Zum einen, das wohl beste irische Weihnachtslied aller Zeiten: Fairytale of New York von The Pogues. Aufgrund seines umstrittenen Texts gerät es jedes Jahr aufs Neue in die Medien. Allerdings bringt es mich und so viele andere Menschen wie kein anderes Lied in Weihnachtsstimmung. Zum anderen, die mittlerweile ikonische Guinness-Weihnachtswerbung, die Zuschauer in ganz Irland mit ihrer unnachahmlichen Atmosphäre auch nach so vielen Jahren noch direkt ins Herz trifft.

In diesem Sinne, Nollaig Shona dhuit – Frohe Weihnachten!

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Über den Autor

Nadja Uebach

Da ich seit 2008 auf der grünen Insel lebe, bedeutet Irland für mich in erster Linie Alltag. Wenn ich nicht mit meinem Laptop bewaffnet in einem Café oder Zuhause sitze und schreibe, findet man mich höchstwahrscheinlich mit meinen drei Kindern am Strand. Die Natur, die Kultur und insbesondere die Menschen sorgen dafür, dass sich in unseren Alltag immer wieder ein bisschen Magie einschleicht. Diese besondere irische Alltagsmagie versuche ich in meinen Texten in Worte zu fassen.

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