Irische Mythologie

Das Werben um Becfola – eine irische Geschichte

Lia Fail Stone of Destiny Hill of Tara Meath Irland
Written by Monika Dockter

„Das Werben um Becfola“ ist die uralte Geschichte einer Dreiecksbeziehung zwischen einer Fee namens Becfola, einem König und einem geheimnisvollen Fremden. Die Erzählung entstammt einem der bedeutendsten mittelalterlichen Sammelwerke der irischen Mythologie: dem „Leabhar Buidhe Lecain“ (zu deutsch: Das Gelbe Buch von Lecan).

Was trocken wie eine beliebige wissenschaftliche Abhandlung beginnt, liest sich allerdings nicht weniger unterhaltsam als ein Roman aus unserem eigenen Zeitalter. Verwunderlich ist das nicht, geht es doch hier wie dort um die großen Emotionen der Menschheit: um Liebe, Eifersucht, Verrat und die tiefe Sehnsucht nach einem Leben in immerwährendem Glück. Hier erzählen wir die Legende „Das Werben um Becfola“ nach. Und wie viele gute Geschichten beginnt auch diese mit einer bedeutungsvollen Begegnung…

Die Geschichte „Das Werben um Becfola“

Becfola begegnet Hochkönig Diarmait

Hochkönig Diarmait in Tara regierte sein Reich in großer Weisheit. Er hatte weder eine Frau noch Kinder, doch an seinem Hof lebten vier Prinzen. Es waren die Königssöhne der vier stolzen Provinzen Irlands, und Diarmait liebte sie wie sein eigen Fleisch und Blut.

Einer von ihnen, des Königs Liebling, war der junge Crimthann. Er begleitete den König, wohin dieser auch ging. Gemeinsam durchstreiften sie die Wälder, wobei Diarmait seinen Begleiter in alle Geheimnisse des Waldes und die Fertigkeiten der Jagd einweihte. Eines Tages gelangten sie dabei an einen Fluss und suchten eine Furt, diesen zu durchqueren.

In diesem Augenblick gewahrten sie auf der anderen Seite des Flusses einen Wagen, gezogen von zwei prächtigen Pferden und gelenkt von einer Frau. Mit solchem Geschick durchquerte die Wagenlenkerin den Fluss, dass die Wogen hoch aufspritzten, Pferde und Wagen aber dennoch trocken vor dem König zum Stehen kamen. Dabei war die junge Frau von solcher Schönheit und Anmut, dass König Diarmait den Atem anhielt.

Hill of Tara

Ausblick vom Hill of Tara; Fotograf: Macmillan Media, Creating Agency: Tourism Ireland

Diarmait und Becfola heiraten

„Wer bist du, und woher kommst du?“, begehrte der König zu wissen, sobald er seine Sprache wiedergefunden hatte. Die schöne Frau jedoch antwortete: „Wenn Ihr gestattet, möchte ich dem König darüber lieber keine Auskunft geben!“

Gänzlich unter dem Bann ihrer Schönheit stehend, gab sich der König mit dieser abweisenden Antwort zufrieden und erklärte: „Unter allen Frauen in meinem Reich habe ich keine schönere gesehen als dich. Du bist eine wahre Erquickung für meine Augen. Ich wünsche, dass du meine Frau und Königin wirst!“

Nachdenklich blickte die Unbekannte vom König zu dessen Gefolgsmann. Mit seinen ungebändigten Locken und seiner hochgewachsenen, kriegerischen Gestalt war Crimthann ebenso jung und schön wie sie und übertraf seinen Herrn bei Weitem. Doch wie konnte sie dem König seinen Wunsch verweigern? Sein Wunsch war Befehl in diesem Land! So senkte sie willig den Blick und sprach: „Wie Ihr wünscht, Hochkönig Diarmait!“ Bald darauf feierte das Land die Hochzeit seines Königs mit der Frau, der er selbst den Namen Becfola gab, was nichts anderes bedeutete als „ohne Morgengabe (Mitgift)“.

Becfola und Prinz Crimthann

Im Schloss zu Tara führten Diarmait und Becfola, der Hochkönig und seine Königin, ein glückliches, zufriedenes Leben. Zumindest, was den König selbst betraf. Die Königin nämlich blickte noch immer bewundernd auf Crimthann, den Schützling ihres Gatten. Dieser mit seiner jugendlichen Stärke und Schönheit war es, in den sie sich eigentlich verliebt hatte, und den sie noch immer begehrte!

Von Diarmait unbemerkt, kam sie Crimthann näher. Er erwiderte ihre Liebe, und schließlich beschlossen die beiden Liebenden, aus Tara zu fliehen, um in weiter Ferne im Verborgenen ihr Glück zu finden. Noch ehe der Morgen graute, verließ Becfola an jenem Tag ihr eheliches Schlafgemach und machte sich auf den Weg zu Crimthann und ihrem vereinbarten Treffpunkt. Die Freude überwältigte sie beinahe: schon bald würde sie mit ihrer wahren Liebe vereint sein!

Becfola in Gefahr!

Doch kaum hatte sie die Mauern des Schlosses hinter sich gelassen, war sie umgeben von Elfen, die sie in die Irre führten. Grauer Nebel, Kälte und Schweigen hüllten Becfola ein, sodass sie bald weder wusste, wo sie sich befand, noch, dass sie auf dem Wege war, mit Crimthann zu fliehen. Stattdessen irrte sie hilflos und verängstigt durch einen tiefen, düsteren Wald. Als die Nacht hereinbrach und mit ihr die Finsternis, vernahm Becfola in der Ferne das Heulen von Wölfen!

Ehe sie sich versah, hatten die Wölfe sie bereits umzingelt. Auf einem Baum brachte Becfola sich vor ihren scharfen Reißzähnen in Sicherheit. Viele Stunden lang musste sie dort oben ausharren, bis die Raubtiere verschwanden. Geschwächt von der Anstrengung und großem Hunger folgte sie schließlich dem Licht eines Lagerfeuers, das die dunkle Nacht durchdrang.

Das Werben um Becfola geht weiter

Das Licht führte Becfola an das Feuer eines schönen jungen Mannes. Bereitwillig teilte er seine Mahlzeit mit ihr und brachte sie am Morgen in seinen eigenen Palast auf einer lieblichen Insel.

Erneut ergriff die Liebe Besitz von Becfola. In seiner Schönheit übertraf der junge Mann jeden anderen, den sie jemals zuvor erblickt hatte – selbst Crimthann – und sie beschloss, nun Flann zum Manne zu nehmen.

Der junge Flann jedoch, erfüllt von denselben leidenschaftlichen Gefühlen, schmiedete einen Plan: Bis er seine Gegner besiegt und sein Königreich gefestigt hatte, sollte Becfola sicher und friedlich im Schloss ihres alten Ehemannes leben, dann aber würde er sie für alle Zeiten zu sich holen. Mit diesem Versprechen geleitete Flann die Angebetete zurück nach Tara.

Becfolas Rückkehr

Als Becfola das heimatliche Schloss betrat, lag es, genau wie bei ihrer Abreise, in dem tiefen Schweigen, das dem Anbruch der Morgendämmerung vorausgeht. Unbemerkt schlich sie ins Bett zu ihrem Gatten Diarmait, der tief und friedlich schlief.

Erst als die beiden sich zum Frühstück erhoben, bemerkte sie, dass auf Tara in der Tat die Zeit stehen geblieben war: Hier war noch immer derselbe Morgen wie der, an dem sie geflohen war! Niemand, nicht einmal der Hochkönig, hatte ihre Abwesenheit bemerkt…

Frohgemut lauschte sie dem Bericht eines Mönches, der während des Frühstücks mit wichtigen Neuigkeiten beim König vorsprach. Plötzlich aber erbleichte sie: Die Neuigkeiten, die der Mönch überbrachte, betrafen sie selbst. Er berichtete Diarmait nichts anderes als die Geschichte ihrer Flucht und ihres Ehebruchs mit Flann.

Ein Abschied für immer

„Ist das wahr, meine Liebe?“, fragte Diarmait seine Gattin mit gequälter Miene. „Spricht der Mönch die Wahrheit über dich?“

„Es ist wahr“, gestand sie freimütig. „Ich liebe Flann über alles.“

„Dann geh!“, rief der König erzürnt. „Geh zu diesem Flann und wage es niemals, wieder einen Fuß in mein Reich zu setzen!“

So verließ Becfola das Schloss von Tara und niemand sah sie jemals wieder. Weder in Irland noch an irgendeinem anderen Ort in der Welt der Lebenden…

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Über den Autor

Monika Dockter

Als Schriftstellerin bedeutet Irland für mich Inspiration in ihrer schönsten Form. Ich finde diese Inspiration in den Worten begnadeter irischer „Storyteller“, zwischen den verschlungenen Wurzeln einer uralten Eiche und auf der Brücke über einen Bach, dessen Wasser vom Torf so braun ist wie der Ginster am Ufer gelb…
Für die gruene-Insel.de zu schreiben betrachte ich als einmalige Gelegenheit, etwas von der für mich so faszinierenden Atmosphäre dieses Landes weiterzugeben – und zwar an eingefleischte Irlandfans ebenso wie an solche, die genau das einmal werden wollen.

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