Eine geteilte Stadt hat besonders für uns Deutsche einen schalen Geschmack von Spaltung und Gefangenschaft. Die Peace Wall in Belfast diente dazu, den Frieden in der geteilten irischen Stadt zu bewahren – und tut es noch heute. Aber bringt die Mauer wirklich echten Frieden in die Stadt?
Die Peace Wall in Belfast – Hintergründe
Sogenannte Friedenslinien entstanden während des Nordirlandskonflikt in zahlreichen irischen Städten, um Wohngebiete pro-irischer Republikaner und pro-britischer Unionisten zu trennen. Besonders in Belfast teilten ab 1969 Friedenslinien Gebiete, die durch wiederholte Auseinandersetzungen gekennzeichnet waren, in Interface areas.
Die Teilung einer bereits gespaltenen Gesellschaft
Die Peace Wall in Belfast erweckt noch heute zwiespältige Gefühle in Anwohnern und Experten. Kein Wunder, wenn man tiefer in die Geschichte der nordirischen Stadt abtaucht, die Schützengraben des Konfliktes zwischen Iren und Briten war. In den 1960er Jahren lagen 64 Prozent der Haushalte in Straßen, in denen ein Großteil der Bewohner entweder Unionisten oder Nationalisten waren. Schwere Unruhen im Jahr 1969 riefen die Britische Armee auf den Plan bis am 9. September 1969 auf Geheiß des nordirischen Premierminister James Chichester-Clark zwischen den Gebieten der Shankill Road und der Falls Road eine Friedenslinie errichtet wurde. Der von Polizei und Armee kontrollierte Stacheldrahtzaun sollte die Bewohner der beiden Stadtteile im Westen Belfasts zur Ruhe bringen. Die Friedenslinien wurden damals als „zeitlich begrenzte Angelegenheit“ bezeichnet. Weiter hieß es:
„Wir werden in dieser Stadt keine Berliner Mauer oder etwas in der Art haben“
Anwohnern, die noch heute auf die Betonwände starren, huscht bei der Erinnerung an diese Aussage nur ein bitteres Lächeln übers Gesicht. Jedoch: es waren gefährliche Zeiten damals. Über 60.000 Menschen waren zwischen 1969 und 1973 gezwungen, ihre Wohnungen nach Bombenanschlägen und Schießereien zu verlassen. Die als Provisorium gedachte Friedenslinie blieb nicht nur bestehen – die ehemaligen Stacheldrahthindernisse wurden durch dauerhafte Bauwerke ersetzt. Zudem wurden auch in weiteren Städten wie Derry und Portadown Friedenslinien errichtet. An Straßen entstanden Tore, die dauerhaft, nur nachts oder während Unruhen geschlossen sind. Manche dieser Barrikaden sind mehrere Kilometer lang und bis zu acht Meter hoch. Die Peace Wall in Belfast ist sage und schreibe 21 Kilometern lang.

Belfast, Peace Wall by Mike Faherty, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
Mauern trotz Waffenstillstand?
Trotz des Karfreitagsabkommen von 1998 nahm die Zahl der Friedenslinien weiter zu. Im Jahr 2009 gab es allein in Belfast 42 sogenannte Peace Walls. Obwol die Regierung im Mai 2013 erklärte, diese die kommenden zehn Jahre beseitigen zu wollen, stehen die Peace Walls in Belfast noch im Jahr 2025 fest und unerschütterlich und tragen somit nicht nur zur optischen Trennung der Stadt bei, sondern befeuern den alten Nordirlandkonflikt in den Köpfen der Stadtbewohner täglich aufs Neue.
Doch die Peace Wall in Belfast hat sich bei Touristen zu einer Sehenswürdigkeit entwickelt, die den alten, kämpferischen Zeitgeist in die Gegenwart zurückholt. Die entstandenen Wandmalereien an den Mauern ziehen Künstler von nah und fern an und prägten den Begriff “Konflikttourismus”
Brachte die Peace Wall in Belfast mehr Frieden?
Recherche ergaben, dass die Zahl der Toten im Umfeld neu gebauter Friedenslinien deutlich zurückging. Die meisten Menschen starben nicht direkt an den Friedenslinien, sondern im Abstand von einigen hundert Metern. Demnach konnten die Friedenswälle den Frieden jenseits der Mauern und in den Kernzonen des Konfliktes nicht wahren.
Stadtplaner verurteilen den Fortbestand der Mauern, die ein einschüchterndes und menschenfeindliches Stadtbild schaffen. Zahlen über den Bevölkerungsrückgang bestätigen das. Allein zwischen 1951 und 1991 verlor die nordirische Stadt 37 Prozent seiner Bevölkerung, während sich der Anteil der katholischen Nationalisten in Belfast fast verdoppelte! Die Folge war ein Ungleichgewicht auf dem Wohnungsmarkt. Während der Wohnraum in nationalistischen Wohngebieten fehlt, stehen in unionistischen Gebieten zahlreiche Häuser leer.
Die Peace Wall in Belfast heute
Auch wenn die Peace Wall in Belfast nicht mit der Berliner Mauer zu vergleichen ist, da sie ein Durchkommen an gewissen Stellen ermöglicht, teilt sie eine Stadt, die eigentlich geeint sein sollte doch in unterschiedliche Bereiche. Und schafft harte Grenzen in den Köpfen über einen Konflikt, der nach über 50 Jahren endlich in Vergessenheit geraten sollte. Ihr könnt heute an der Mauer entlang spazieren, die ganz plötzlich aufhört, nur um an einer anderen Stelle in der Stadt wieder zu beginnen und die dortigen Wohngebiete in Lager zu unterteilen.
Selbst als Reisender hat das etwas Befremdliches und Bedrückendes an sich. Die einst geschlossenen Tore stehen zwar heute offen, doch sie sind da und intakt und hinterlassen den beunruhigenden Gedanken, dass sie jederzeit wieder ins Schloss fallen könnnten. Laut interner Quellen werden die Tore tatsächlich nachts noch geschlossen, unvorstellbar für uns. Noch heute erinnern Denkmäler und Gedenkstätten an die Opfer der Märtyrer des Nordirlandkonflikts und bei nähere Betrachtung fragt man sich, ob dies so gewollt ist und wem es heute wirklich noch nützt.
Ein Mekka für Graffiti-Fans

Ajay Suresh from New York, NY, USA, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons
Natürlich haben die Mauern auch ihre guten Seiten und werden nicht umsonst jährlich von Touristen – besonders Graffiti-Künstlern – aus aller Welt besucht. Denn inzwischen ziehen sich an der Peace Wall in Belfast zahlreiche bunte Kunstwerke durch die ganze Stadt und laden dazu ein, die Friedenswälle fernab aller Konflikte neu für sich zu entdecken. Die Botschaften und Kunstwerke auf den Mauern drücken eine Vielzahl von Gefühlen aus, von Aufrufen zu Frieden und Einheit bis hin zu persönlichen Reflexionen und politischen Aussagen.
Mehr als 3.500 Menschen kamen während des Nordirlandkonflikts ums Leben, etwa die Hälfte davon in Belfast. Rund 50.000 Menschen wurden verletzt. Daran erinnert die Peace Wall in Belfast noch heute. Und es ist wichtig, die Opfer nicht zu vergessen oder die Gründe des Konfliktes. Allerdings halten die Mauern die blutige Vergangenheit im Alltag all zu lebendig.
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