Irische Mythologie

Der Lachs der Weisheit – Eine irische Geschichte voller Magie

Lachs der Weisheit
Written by Heike Fries

Lachse sind schöne und edle Tiere – und wenn es nach der irischen Mythologie geht, war zumindest einer von ihnen außergewöhnlich klug. Es war der Lachs der Weisheit, der sogar einen Namen trug: Er hieß Fintan und lebte im River Boyne – und zwar zu einer Zeit als Fionn Mac Cumhaill, einer der großen irischen Sagenhelden, noch ein kleiner Junge war. Wahrscheinlich lebte der Lachs dort schon unendlich lange, denn viele Menschen hatten in all den Jahren versucht, ihn zu fangen und an seine Weisheit zu gelangen. Das ist die Legende vom Lachs der Weisheit.

Der Zauber der irischen Mythologie

Aber der Reihe nach: Wie so oft in der irischen Mythologie ist auch bei dieser Legende eine Menge Magie mit im Spiel. Zunächst war Fintan ein ganz gewöhnlicher Lachs. Manche sagen auch, dass er zunächst ein Mann war, der in Form eine Lachses weiterleben durfte. Aber ganz gleich ob Mann oder Fisch: Zu Beginn seines Lebens hatte er noch nicht das ganze Wissen und die Weisheit der Welt in sich vereint.

Das geschah erst, als er an einem Herbsttag in einen tiefen kleinen Nebenarm des River Boyne schwamm. Diese Stelle des Flusses war ähnlich wie ein Teich geformt und neun magische Haselnusssträucher schmiegten sich eng darum. Als der Lachs dort hinkam, fielen neun reife Haselnüsse ins Wasser, die er sofort verspeiste. Und genau wie die Sträucher, waren auch diese Nüsse magisch: Denn sie enthielten all das Wissen der Welt. Fintan nahm an diesem Tag all das in sich auf und schwamm also fortan als Lachs der Weisheit im River Boyne.

Die Prophezeiung

Doch er blieb den Leuten nicht unbekannt und es hieß bald, dass der Erste, der von ihm aß, die gesamte Weisheit in sich aufnehmen würde – und sogar die Gabe der Weissagung bekäme. Doch der kluge Fisch wusste sich dem lange zu entziehen. Das blieb so, bis der alte und weise Druide Finegas in den nahegelegen Wald zog. Ab da kam plötzlich die Prophezeiung auf, dass Finegas die Weisheit des Lachses erlangen würde. Doch es sollte anders kommen.

Denn die Geschichte vom klugen Lachs ist eng mit der von Fionn Mac Cumhaill verknüpft. Fionn wurde kurz nach einer Clanfehde geboren. Sein Vater kam dabei ums Leben, doch seine Mutter Murna konnte in den Wald fliehen, wo sie den Jungen zur Welt brachte. Er hieß zu Beginn Demna, wurde aber wegen seines hellen Haares schon bald Fionn – der Helle – genannt. Er war ein wissbegieriger Junge und der Druide Finegas nahm ihn schon bald als Lehrling bei sich auf. Die beiden lebten in der Nähe des River Boyne, in dem noch immer der Lachs der Weisheit schwamm. Der Druide Finegas versuchte von da an unentwegt das kluge Tier zu fangen, scheiterte aber jedes Mal.

Fionn Mac Cumhaill

Stephen Reid, Finn Mccool Comes to Aid the Fianna, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Der Fisch landet am Haken

Bis es eines Tages doch gelang: Der Lachs landete am Haken. Aufgeregt rannte Finegas zu seinem Lehrling, der gerade das Feuer hütete: „Fionn, ich habe den Lachs der Weisheit gefangen. Bereite alles vor, um ihn für mich zu braten.“ Der Lachs war schnell ausgenommen und Fionn briet ihn anschließend über dem Feuer. „Wenn er fertig ist, serviere ihn mir sofort“, befahl Finegas und ließ Fionn am Feuer alleine. Der drehte geduldig den Spieß, an dem der große Fisch briet.

Als der Lachs der Weisheit zubereitet war, brachte Fionn ihn sofort zu Finegas, der sich schon sehr darauf freute, die Weisheit des Fisches zu erlangen. Doch als er Fionn sah, stutzte er. In den Augen des Jungen leuchtete etwas, das vorher nicht da gewesen war. „Fionn, hast du etwa ein Stück vom Lachs gegessen?“, fragte er. „Nein, Meister, ganz bestimmt nicht“, antwortete Fionn. „Nicht einmal ein winziges Stück von der knusprigen Haut?“, fragte der Druide. „Nein, Meister, ich habe wirklich nichts vom Fisch gegessen. Ich habe mir bloß beim Umdrehen des Spießes den Finger verbrannt und ihn in den Mund gesteckt, um ihn zu kühlen. Das ist alles“, erzählt Fionn.

„Ja, das ist es. Du hast den ersten Bissen des Fisches gegessen und die Prophezeiung erfüllt sich nun in dir“, sagte Finnegan mit einem wehmütigen Unterton.

Fionn schüttelte den Kopf: „Aber nein, ich bin kein bisschen weiser, als zuvor“.

Finegas dachte nach: „Aber ich sehe es dir doch an. Du sagst, du hast den Finger in den Mund gesteckt? Tue es erneut.“ Fionn gehorchte und kaum hatte er den Finger im Mund, konnte er die Vergangenheit, die Gegenwart und sogar die Zukunft sehen. Schnell nahm er den Finger wieder heraus und blickte seinen Meister an. Der sagte bloß: „Geh jetzt hinaus in die Welt, ich kann dir nichts mehr beibringen.“

Fionn Mac Cumhaill – der weise Held

Von da an brauchte Fionn nur den Finger in den Mund zu stecken, um Weisheit zu erlangen und in die Zukunft zu schauen.

Er wurde ein starker und weiser Held. Als Anführer der Fianna – einer Gruppe edler Kämpfer – erlebte er große Abenteuer. Seine Geschichten sind im sogenannten Finn-Zyklus zusammengefasst. Viele davon erinnern an die Sage von König Artus und seiner Tafelrunde.

Die Abenteuer sind tatsächlich bis nach Wales und England gereist – und das obwohl die Kelten nichts schriftlich festhielten. Sie waren eine Gesellschaft mit mündlicher Tradition. Die Druiden verfügten zwar über die Ogham-Schrift, doch damit wurden keine Geschichten aufgeschrieben. Diese wurden von Barden und Geschichtenerzählern vorgetragen und weitererzählt. So veränderten sich die Geschehnisse immer wieder – je nachdem, wer die Geschichte gerade erzählte.

Vor allem die Abenteuer von Fionn, der oft auch Finn McCool genannt wird, waren heiß geliebt. Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen davon entstanden im Mittelalter, als Mönche sie aufschrieben – und sie wurden auch darüber hinaus oft kopiert und weitererzählt. Es sind wunderschöne, heldenhafte und romantische Abenteuer darunter. Werft einmal einen Blick hinein, es lohnt sich.

Lachs

Robert W. Hines, U.S. Fish and Wildlife Service, Salmon fish swimming upstream, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Der Lachs in der keltischen Mythologie

Eine Sache müssen wir noch klären: Warum ein Lachs? Was hat es mit diesem Fisch auf sich? Lachse spielen tatsächlich eine große Rolle in der keltischen Mythologie. Unter anderem kommt im walisischen Mabinogion ein weiser Lachs namens Llyn Llyw vor. Die Geschichte dazu heißt Culhwch and Olwen und ist eine ganz frühe Legende, die mit König Artus in Verbindung gebracht wird.

Aber auch ganz gewöhnliche Lachse sind faszinierende Wesen. Und wahrscheinlich ist es einfach die Hingabe und Kraft der Lachse, die die Kelten zu diesen Geschichten inspirierte. Erwachsene Lachse werden im Fluss geboren und verbringen anschließend Jahre ihres Lebens im Meer, bevor sie zum Laichen wieder an den Ort ihrer eigenen Geburt zurückkehren. Um dorthin zu gelangen, kämpfen sie sich mit unbeirrbarer Energie flussaufwärts, wobei sie Stromschnellen und Wasserfälle überwinden – schwimmend oder mit den berühmten Lachssprüngen. Kein Wunder also, dass die Kelten beeindruckt waren und diese Tiere mit Kraft und Weisheit gleichsetzten.

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Über den Autor

Heike Fries

Irland ist eine Herzensangelegenheit für mich und neben der irischen Musik hat es mir vor allem der irische Sagenzyklus angetan.

Ich habe Irland schon als Schülerin mehrmals besucht. Damals hatte ich das Glück, die ganze Insel über mehrere Wochen kennenzulernen. Das blieb natürlich nicht ohne Folgen: Es ist bis heute mein Lieblingsland.

Ich bin Autorin und Künstlerin und irische Motive schmuggeln sich auch immer wieder in meine Zeichnungen. In meiner Freizeit spiele und singe ich in einer Band. Wir sind zwar keine richtige Folkband, haben aber den ein oder anderen irischen Song im Programm. Ich spiele außerdem ein wenig Bodhrán. Da ich nicht genug übe, bin ich nicht besonders gut – aber ich bin mit Begeisterung dabei.

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