Ein schmaler Pfad windet sich durch den Wald, vorbei an uralten Bäumen, deren knorrige Stämme den Weg weisen. Mit jedem Schritt auf dem weichen Boden verstummen die Geräusche des Alltags mehr. Lediglich das sanfte Rascheln von Blättern dringt an die Ohren. Ein tiefer Atemzug zieht den frischen Geruch von feuchter Erde und Holz in die Lunge, während die Sonne durch das Blätterdach bricht und die Umgebung in ein goldenes Leuchten hüllt. Selbst, wenn man in Irland zunächst an grüne Hügel und dramatische Küstenlandschaften denkt; so sind es die Wälder der Grünen Insel, wo man Frieden findet, und das Gefühl hat, das Land atmen zu hören. Im Schatten der Baumkronen spürt man eine uralte Weisheit, die auf der kleinen Atlantikinsel seit jeher eine große Rolle spielt – denn Irlands Bäume sind auf eine ganz besondere Weise mit der Geschichte, Kultur und Mythologie verbunden. Eine Verbindung, deren Bedeutung wir uns in diesem Beitrag genauer ansehen.
Inhaltsverzeichnis
Irlands Bäume und ihre kulturelle Bedeutung
Irlands Bäume spielen bereits seit Jahrtausenden eine zentrale Rolle in der Kultur der Grünen Insel. Bei den Kelten galten sie als heilig und wurden als Verbindung zwischen Himmel und Erde gesehen. Ein Baum war ein Symbol der Weisheit und Beständigkeit und ganz besonders der „Crann Bethadh“, der Baum des Lebens. Das bis heute bekannte keltische Symbol steht allen voran für das Gleichgewicht zwischen den Welten sowie zwischen Mensch und Natur.
Wie wichtig Bäume für die Menschen in Irland einst waren, erkennt man auch daran, dass jeder Stamm einen eigenen heiligen Baum hatte – einen sogenannten Bile, der die Stärke und den Zusammenhalt des Stammes verkörperte und meist einen wichtigen Versammlungs- oder Ritualort markierte.
Darüber hinaus war die irische Landschaft einst von dichten Wäldern geprägt, die nicht nur als Lebensraum für unzählige Tiere, sondern auch als Orte der Verehrung galten. In den sogenannten Hainen wurden Rituale abgehalten, Druiden teilten dort ihre Weisheit und ließen sich von der Energie und den schützenden Kräften der Bäume inspirieren. Man vermutet, dass diese Haine früher oft in der Nähe anderer Ritualstätten, wie beispielsweise Steinkreisen oder Hügelgräbern zu finden waren.
Mythologie und legendäre Bäume
Die irische Mythologie ist durchzogen von Geschichten, in denen Bäume als magische Wesen, Wissensquellen und spirituelle Tore zwischen den Welten erscheinen. Besonders bekannt ist die Erzählung vom „Baum der Weisheit“ am Brunnen von Connla – einem Ort, der sich in der Anderswelt befindet und in der Mythologie die Quelle des Flusses Shannon darstellt.
Bei dem Baum der Weisheit handelt es sich um eine Hasel, die bei den alten Kelten als das erste Lebewesen in der irdischen Welt galt und somit das gesamte Wissen des Universums hütete. Während sich die Äste dieses Baumes über den mythischen Brunnen erstreckten, fielen seine Nüsse regelmäßig in das kühle Nass, wo sie anschließend von einem Lachs verzehrt wurden. Dieser Lachs nahm mit den Nüssen das Wissen in sich auf und galt forthin als Lachs der Weisheit. Es hieß, wem es gelang, den Fisch zu fangen und zu verspeisen, der wird der neue Hüter dieser Weisheit sein. So kam es, dass Fionn MacCumhaill, der legendäre mythische Krieger der Fianna, das Wissen des Universums erlangte und zu einem der größten Sagenhelden Irlands wurde.
Irlands Bäume: Von Feen, Glück und Unglück
Ein weiterer bedeutsamer Baum der irischen Landschaft ist der Weißdorn. Er gilt als Portal zur Anderswelt und Wohnort der „Sídhe“, das geheimnisvolle Feenvolk der Grünen Insel. Obwohl die Geschichten über die Feen und den Weißdorn schon Jahrhunderte alt sind, werden sie bis heute respektiert. Es soll Unglück bringen, einen Weißdorn ungefragt zurückzuschneiden oder gar zu fällen. Der Volksglaube steckt voller Geschichten, in denen Menschen, die den Weißdorn nicht respektierten, von Krankheiten oder Armut heimgesucht wurden.
Das ist der Grund, für die vielen einzelnen Weißdornbäume inmitten von Feldern oder an Wegkreuzungen – sogar die geplante Strecke einer neuen Autobahn wurde so gelegt, dass ein Weißdornbaum umfahren werden konnte und nicht gefällt werden musste. Oft hinterlassen Menschen am Fuß oder in den Zweigen dieser Bäume kleine Geschenke für die Feen. Das können Muscheln, Münzen, Knöpfe oder bunte Stoffbänder sein, mit denen man um einen Gefallen bittet, oder sich für eine erfüllte Bitte bedankt. Dieser Brauch scheint ein Überbleibsel aus einer Zeit zu sein, in der Bäume nicht nur Schatten spendeten, sondern auch die Geheimnisse des Universums bewahrten.
Die Wächterbäume Irlands
Neben den heiligen Bäumen der einzelnen Stämme, gab es in Irland einst auch fünf Wächterbäume, welche die Insel mit ihrer Stärke und Weisheit schützten. Außerdem sah man sie als Verbindung zu den eigenen Ahnen und zur Weisheit der Natur und Magie der Anderswelt. Diese fünf Bäume waren unter den Namen Eó Mugna, Bile Tortan, Eó Ruis, Craeb Daithí und Bile Uisnigh bekannt und obwohl es sie heute nicht mehr gibt, leben sie in den Legenden der Insel weiter.
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Irlands Bäume und das Ogham-Alphabet
Das Ogham-Alphabet ist ein uraltes Schriftsystem der Grünen Insel. Bis heute zieren die gekreuzten Striche, die von rechts nach links und oben nach unten gelesen werden, zahlreiche stehende Steine. Wir erhalten dadurch einen faszinierenden Blick in die Vergangenheit des Landes. Das besondere an den geheimnisvollen Schriftzeichen ist jedoch die Verbindung zu Natur und zu den Bäumen. Von den insgesamt 20 Ogham-Zeichen erhielten ursprünglich acht ihren Laut und Namen von den Bäumen Birke, Erle, Weide, Eiche, Hasel, Kiefer, Esche und Eibe – was die Wichtigkeit dieser Bäume erneut unterstreicht.
Im Mittelalter fanden Gelehrte für die restlichen 12 Schriftzeichen ebenfalls einen bezeichnenden Baum. Demnach ist heutzutage das gesamte Ogham-Alphabet als Baum-Alphabet bekannt ist.Lesetipp: Alles, was es über die Ogham-Schrift zu wissen gibt, findet Ihr hier!
Der keltische Baumkalender & Horoskop
Aus der Verbindung der Ogham-Schriftzeichen und den irischen Bäumen entwickelte sich der keltische Baumkreis. Ein Mondkalender mit 13 Monaten, der jedem dieser Zeiträume einen bestimmten Baum mit seinen jeweiligen Eigenschaften zuordnet.
- Birke (24. Dezember bis 20. Januar) – Neuanfang, Reinigung und Veränderung
- Eberesche (21. Januar bis 17. Februar) – Schutz der Familie und des Heims
- Esche (18. Februar bis 17. März) – Selbstfindung, Spiritualität
- Erle (18. März bis 14. April) – Spirituelle Führung, Hilfe bei Entscheidungen
- Weide (15. April bis 12. Mai) – Gleichgewicht, Weisheit, Gesundheit
- Weißdorn (13. Mai bis 9. Juni) – Fruchtbarkeit und Wachstum
- Eiche (10. Juni bis 7. Juli) – Stärke, Ausdauer und Sicherheit
- Stechpalme (8. Juli bis 4. August) – Schutz und Tapferkeit
- Hasel (5. August bis 1. September) – Weisheit, Intuition und Kreativität
- Wein (2. September bis 29. September) – Ernte, Freude und Beständigkeit
- Efeu (30. September bis 27. Oktober) – Selbstfindung, Schutz und Ewigkeit
- Schilf (28. Oktober bis 23. November) – Unsterblichkeit, Gesundheit und spirituelle Führung
- Holunder (24. November bis 23. Dezember) – Tod, Wiedergeburt und Schutz
Eine Weiterentwicklung dieses keltischen Baumkalenders ist das keltische Baumhoroskop. Anstatt von Sternzeichen, wird jedem Menschen anhand seines Geburtsdatums ein Baum zugeordnet. Dieser steht für bestimmte Eigenschaften und soll so den Lebensweg voraussagen können.
Wenn Ihr mehr über Euer Baumhoroskop lesen möchtet, dann findet ihr hier einen ausführlichen Artikel darüber.
Das moderne Irland und seine Bäume
Obwohl Irland heute nicht mehr so waldreich ist wie in der Vergangenheit, spielen Bäume weiterhin eine bedeutende Rolle in der Kultur und im Umweltschutz. Zahlreiche Projekte widmen sich der Wiederaufforstung und der Bewahrung alter Baumarten. Zudem erfreuen sich die alten keltischen Jahreskreisfeste in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit, was die Bedeutung der Bäume erneut in den Mittelpunkt rückt.
Diese Bedeutung spiegelt sich außerdem in zahlreichen irischen Ortsnamen wider, die sich auf Bäume oder die Rolle irischer Bäume in der Kultur zurückführen lassen. So stammt Derry beispielsweise von Doire oder Dara ab, was Eiche bedeutet. Der irische Name von Kildare lautet Cill Dara, was mit Kirche der Eiche übersetzt wird und zeigt, wie eng Glaube und Bäume einst verbunden waren.
Fest steht, dass Irlands Bäume weit mehr als hochgewachsene Pflanzen sind. Sie sind stumme Zeugen einer uralten Kultur und Glaubensstruktur, deren Weisheit und Beständigkeit wir dank der unzähligen Mythen und Traditionen bis heute spüren.
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