Ashey Pelt - Das irische Aschenputtel - ☘ gruene-insel.de
Irische Geschichten & Märchen

Ashey Pelt – Das irische Aschenputtel

Ashey Pelt
Written by Monika Dockter

Aschenputtel, Aschenbrödel, Cinderella – alle diese Titel beziehen sich auf ein und dasselbe Märchen der Gebrüder Grimm. Dieses wiederum geht auf eine noch ältere, in Frankreich entstandene Geschichte aus dem 17. Jahrhundert zurück. Heute gibt es in unseren Kulturkreisen vermutlich niemand, der nicht wenigstens eine der zahlreichen Verfilmungen dazu kennt. Die tschechische Version „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ beispielsweise ist in Deutschland vor allem zur Weihnachtszeit sehr beliebt.

Aber wusstet Ihr, dass es unter anderen auch eine irische Variation dieses Märchens gibt? Die Gebrüder Grimm hatten nämlich vollkommen Recht, als sie in der ersten Auflage ihrer Märchen im Jahr 1812 zu „Aschenputtel“ kommentierten: „gehört unter die bekanntesten und wird aller Enden erzählt“.  Tatsächlich gibt es unter dem Titel Yeh Shen sogar eine chinesische Version von Aschenputtel. Doch was uns heute interessiert, ist selbstverständlich das irische Märchen Ashey Pelt.

Und hier ist es, in der Tradition der irischen Storyteller von mir nacherzählt:

Ashey Pelt und ihre Familie

Es war einmal ein Mann, dessen geliebte Frau war gestorben. So blieb er alleine zurück mit einer kleinen Tochter, die sehr hübsch anzusehen war. Sie war von zierlicher Gestalt, ihr Gesicht war ebenmäßig und ihre Augen zeugten von Freundlichkeit und Liebe. Eine Weile lang lebten die beiden zufrieden in ihrem Hause, doch es kam der Tag, an dem der Mann nicht länger ohne eine Ehefrau leben wollte, und er heiratete zum zweiten Mal.

Seine zweite Frau, die neue Mutter des kleinen Mädchens, war ebenfalls verwitwet und besaß auch zwei eigene Töchter. Diese drei, die Stiefmutter und beiden neuen Schwestern des kleinen Mädchens, betrachteten die leibliche Tochter des Mannes jedoch mit Augen der Abneigung und des Neides. Mit jedem Tag, der verging, behandelten sie sie noch ein Stück unfreundlicher. Die schmutzigsten, hässlichsten Tätigkeiten im Haus musste sie verrichten, als wäre sie die niedrigste Magd im Hause. Statt freundlicher Worte bekam sie nur Schelte zu hören, und musste sich in alte, zerrissene Gewänder kleiden wie eine Bettlerin.

So geschah es eines Tages, als sie alleine draußen auf der Weide war, dass sie in bitterliches Weinen ausbrach. Niemanden schien ihr Leid zu bekümmern, niemand erbarmte sich über das derart unfreundlich behandelte junge Mädchen Ashey Pelt.

Ashey Pelt und das Mutterschaf

Als sie laut schluchzend im weichen, grünen Gras unter einem Busch kauerte, hörte sie plötzlich eine Stimme. „Gräme dich nicht länger, mein Kind“, sagte die Stimme. „Höre auf zu weinen!“

Erschrocken hob Ashey Pelt den Kopf. Wer konnte das nur sein, da sie doch ganz alleine auf der Weide war? Staunend blickte sie geradewegs in das Gesicht eines schwarzen Mutterschafes. Sie wischte ihre Tränen beiseite, um ihren Blick zu klären, doch das schwarze Mutterschaf war noch immer da.

„Ich weiß, wie traurig und unglücklich du bist!“, fuhr es mit gütiger Stimme fort. „Deshalb werde ich dir drei Wünsche erfüllen! Nimm‘ diese lange Rute hier am Boden, gehe zu dem Felsen dort drüben und schlage mit der Rute in deiner Hand dreimal dagegen. Dann wird dir zuteilwerden, was du dir am sehnlichsten wünschst!“

Auffordernd sah das schwarze Mutterschaf sie an und Ashey Pelt nahm wie im Traume die Rute zur Hand und näherte sich dem Felsen.

Drei Wünsche für Ashey Pelt

„Ich wünsche mir, heute auf des Königs Ball zu gehen“, sagte sie und schlug mit der Rute gegen den Felsen, „dazu ein kostbares Festgewand, noch viel schöner als das meiner Stiefmutter und Schwestern, die mich nicht mit sich nehmen wollen, samt seidenen Schuhen, und eine Kutsche, um zum Königsschloss zu gelangen.“

Kaum aber hatte sie zu Ende gesprochen, fielen ihr die alten Lumpen vom Leibe und sie fand sich in das schönste Festgewand gekleidet. Weich und fließend fiel es an ihr herab bis auf die Tanzschuhe aus reinster weißer Seide. Wie verwandelt fühlte sich Ashey Pelt, als sie die Kutsche bestieg, die vor ihr stand, gezogen von vier edlen weißen Pferden.

„Bedenke aber eines, mein Kind!“, ermahnte das Mutterschaf, ehe die Kutsche davon fuhr, „der Zauber hält nur bis zur mitternächtlichen Stunde! Du musst zurück sein, ehe er verflogen ist!“

Sprachlos vor Glück nickte Ashey Pelt, und schon rollte die Kutsche über die Ebene, geradewegs auf das Königsschloss zu.

Ashey Pelt und der Prinz

Der königliche Ball war in vollem Gange, als Ashey Pelts Kutsche vor dem Schloss vorfuhr. Bescheiden und dennoch im Bewusstsein ihrer Schönheit schritt sie über die Freitreppe zum Ballsaal. König und Königin thronten mit wohlwollendem Blick an der Stirnseite des Saales, vor ihnen wogte zum Klang der Streicher ein Reigen prachtvoll gekleideter Männer und Frauen.

Mitten unter sie mischte sich Ashey Pelt und es währte nicht lange, bis der Prinz sie entdeckte. Gebannt von ihrer Schönheit forderte er sie zum Tanz und Ashey Pelt ließ sich willig führen. Ohne jeglichen Blick für eine andere tanzte der Prinz mit ihr, bis die Uhr die mitternächtliche Stunde ankündigte.

Erschrocken, da sie nicht mehr an die mahnenden Worte des Mutterschafes gedacht hatte, riss Ashey Pelt sich vom Prinzen los und floh aus dem Ballsaal. Sie floh die Treppen hinab und ihrer Kutsche entgegen, die warnenden Schläge der Uhr noch immer im Ohr, verlor einen seidenen Tanzschuh und hielt doch nicht inne. Beim letzten Glockenschlag erklomm sie ihr Gefährt und war im Nu verschwunden, während der Prinz, der ihr gar nicht rasch genug hatte folgen können, mit dem bloßen Schuh in der Hand auf der Freitreppe zurückblieb.

„Ich werde sie finden!“, so schwor er sich selbst, „ich werde die schöne Jungfer wiederfinden, und wenn ich mein ganzes Reich nach der Besitzerin dieses Schuhs absuchen muss. Denn sie und keine andere werde ich zu meiner Frau und neuen Königin erwählen!“

Die Suche nach der schönen Jungfer

Noch in derselben Stunde machte sich der Königssohn auf, um seine Auserwählte zu finden. Die Kunde von dem Prinz, der diejenige zur Frau erkoren hatte, deren Fuß in jenen kleinen verlorenen Seidenschuh passte, eilte ihm weit voraus. Auch Ashey Pelts Stiefschwestern hörten davon, und in dem Wunsch, die Auserwählte zu sein, kniffen und beschnitten sie mühsam ihre Füße, damit sie kleiner und zierlicher wurden.

Die ungeliebte Ashey Pelt aber schickte ihre Stiefmutter derweil auf die Weide, die Kühe zu hüten, damit sie nur ja nicht dem Prinzen begegnen würde. Und siehe da, als der Prinz mit dem Seidenschuh in der Hand eintraf und die beiden Schwestern auf die Probe stellte, so passte der Fuß der einen genau in den Schuh hinein. Mit Schmerzen und Qualen zwar, denn der Schuh drückte an allen Enden, doch entschlossen unterdrückte die falsche Auserwählte alle Schmerzenslaute.

Ein glückliches Ende

Der Prinz jedoch ritt, in dem Glauben, die Richtige gefunden zu haben, glücklich mit ihr von dannen. Doch während er über die Felder galoppierte, vernahm auch er die Stimme des schwarzen Mutterschafs. „Halt ein!“, befahl sie ihm, und erklärte:

„Nippet foot, and clippet foot
Behind the king’s son rides,
But bonny foot, and pretty foot
Is with the cathering hides.“

So machte der Prinz gehorsam kehrt und fand auf der Weide bei den Kühen die wahre Besitzerin des seidenen Schuhs. Selig vor Freude über sein Glück, nahm er Ashey Pelt mit auf sein Schloss und feierte Hochzeit mit ihr. Das ganze Königreich freute sich mit dem prinzlichen Paar, das Land grünte und gedieh, und gemeinsam lebten die beiden glücklich und zufrieden bis an ihr Ende.

Möchtest Du eine Reise zu Dir antreten?

Wächst in Dir die Sehnsucht, Dein Leben langsamer, tiefer und bewusster zu erleben? Möchtest Du eine Reise zu Dir selbst in Irland unternehmen? Auf Dich wartet eine Reise, die so individuell und wunderbar ist wie Du.

>> Weitere Infos <<

Über den Autor

Monika Dockter

Als Schriftstellerin bedeutet Irland für mich Inspiration in ihrer schönsten Form. Ich finde diese Inspiration in den Worten begnadeter irischer „Storyteller“, zwischen den verschlungenen Wurzeln einer uralten Eiche und auf der Brücke über einen Bach, dessen Wasser vom Torf so braun ist wie der Ginster am Ufer gelb…
Für die gruene-Insel.de zu schreiben betrachte ich als einmalige Gelegenheit, etwas von der für mich so faszinierenden Atmosphäre dieses Landes weiterzugeben – und zwar an eingefleischte Irlandfans ebenso wie an solche, die genau das einmal werden wollen.

Kommentar hinterlassen