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Irische Mythologie

Lia Fáil – Der Stein des Schicksals

Written by Monika Dockter

Aufrecht und auffallend prominent ragt auf den Hügeln von Tara eine megalithische Steinsäule gen Himmel: Lia Fáil, der Stein des Schicksals. Bekannt ist er auch als Krönungsstein der irischen Hochkönige. Die Legende besagt, dass der Stein jedes Mal, wenn ein wahrer König darauf saß oder ihn berührte, vor Freude aufschrie und diesen mit einer langen Herrschaft segnete. So sah Lia Fáil über eine Periode von mehr als 2000 Jahren 142 Monarchen kommen und gehen, und auch wenn der Stein heute stumm ist und bleibt, bietet sein Standort doch einen großartigen Ausblick über nahezu das gesamte County Meath. Hier erfahrt Ihr noch mehr über diese Legende und die Bedeutung beziehungsweise Rolle des Krönungssteins.

Was bedeutet der Begriff Lia Fáil?

Eine Theorie besagt, dass der Stein zunächst alt- und mittelirisch fál  genannt wurde – ein Wort, dessen Bedeutung nicht ganz klar ist. „Hindernis, Häuptling, Überfluss, Lernen, Tal“ sind einige der möglichen Bedeutungen des Begriffs.

Nach dem Stein jedenfalls benannte das vorchristliche Volk der Túata de Danann bei ihrer Ankunft das ganze Land Inis Fál, Insel von Fál. Ein Begriff, den man bis heute als altertümliche Bezeichnung Irlands kennt. In der Literatur zum Beispiel wird Inisfáil manchmal mit Eirin gleichgesetzt, so in einem Gedicht von Aubrey Thomas de Vere im Jahr 1863. Auch in dem Namen einer politischen Partei Irlands – Fianna Fáil – taucht der Begriff auf.

Im Umkehrschluss nannten die Thúata de Danann den Stein nach der Insel Lia Fáil, Standing Stone of Ireland. Aber es gibt noch eine weitere Erklärung, wie der Megalith zu seinem Namen kam. Auch diese findet sich in der Geschichte des Steines und der Thúata de Danann.

Die Geschichte des Lia Fáil

Die Thúata de Danann gelten als Volk von Halbgöttern und gehörten zu einer der ersten Besiedlungsgruppen Irlands. Allgemeines zu ihrer Geschichte lest Ihr in diesem Artikel , hier wollen wir nur erforschen, was sie mit dem Stein des Schicksals zu tun haben.

Laut Legende besaßen die Thúata de Danann vier Städte auf der Welt, in denen sie alle Kenntnisse in Wissenschaft und Druidentum, in der Kunst sowie in der Zauberei und Wahrsagerei vereinten und ausübten. Diese vier Städte hießen Failias, Goirias, Findias und Muirias. Und aus jeder dieser Städte brachten sie einen (magischen) Gegenstand mit, als sie die grüne Insel besiedelten. Auf diese Weise gelangte Irland zu seinen legendären „Vier Schätzen“.

Aus Goirias stammt einer davon, der Speer des Lugh. Niemals würde dieser Speer sein Ziel verfehlen, wie in der Legende der „Schlacht von Mag Tuired“. Aus Findias brachten sie das Schwert des Nuadu, dem, einmal aus der Scheide gezogen, kein Mensch entfliehen oder widerstehen konnte.

Von Muirias brachten die Thuata den Kessel des Dagda, einen Kupferkessel, der stets gefüllt war und jeden satt machte, der daraus aß – es sei denn, derjenige war ein Feigling oder ein Eidbrecher. Und aus Failias eben jenen Stein, der unter der Berührung jedes echten Königs aufschrie. Lia Fáil, der heute in Tara steht, und nach der Stadt Failias benannt ist, aus der er ursprünglich stammte. Sinn und Zweck des Steines war es, dass der Herrscher seiner „göttlichen Erwählung“ gewiss sein konnte, und das Volk, dass es unter dem Schutz des „richtigen, auserwählten“ Herrschers stand.

Lia Fáil und der schottische Stone of Scone

Neben der Legende der vier Schätze gibt es aber noch eine andere Version der Geschichte des Krönungs- oder Schicksalssteines. Sie stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert und führt uns nach Schottland zum Stone of Scone. Manche schottischen Chronisten setzen den Stein Lia Fáil mit dem Stone of Scone aus Schottland gleich.

Ihnen zufolge verließ Lia Fáil Tara und die grüne Insel im Jahr 500 vor Christus. Der damalige Hochkönig Murtagh MacEirc nämlich „lieh“ seinem Großonkel Fergus in Schottland den Stein für dessen Krönung in Schottland. Zu Fergus‘ Königreich gehörten damals auch Teile des nordirischen Ulster. Nicht lange danach aber verloren Fergus der Große und viele seiner Männer ihr Leben in einem Sturm vor der Küste von Antrim, und der Krönungsstein verblieb in Schottland.

Im Jahr 1296 wurde der Stein, der damit zum Stone of Scone geworden war, von Edward I. nach Westminster in England geholt, wo er bis 1996 unter dem Königsthron der britischen Monarchen lag.

Damit besäße der als Lia Fáil bekannte Stein in Tara also eine andere Bedeutung.

Eine dritte Version der Geschichte des Schicksalssteins

Ein weiterer Mythos rankt sich um die Geschichte des Krönungssteins. Ihm zufolge gelangte der Stein wie gehabt mit den Thúata de Danaan auf die grüne Insel, und zwar mit einem iberischen Stamm des sagenhaften Volkes. So geschehen im Jahr 580 vor Christus, als das Schiff aus dem heutigen Spanien im irischen Carrickfergus landete.

Mit an Bord des Schiffes befand sich Eochaidh, der Sohn eines Hochkönigs und Nachkomme Èrimóns. Seine spätere Ehefrau hatte Eochaidh in Jerusalem getroffen – also an genau dem Ort, wo er auch den heiligen Krönungsstein entdeckt hatte. Vor der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier hatte er ihn dort an sich genommen und nun auch mit nach Irland. Die Prinzessin namens Tea Tephi brachte außerdem eine Harfe mit, die angeblich aus dem Hause des biblischen Königs David stammte.

Gemeinsam brachten sie als ursprüngliche Eigentümer den Krönungsstein nach Tara, und jeder der auf ihm gekrönten Könige versuchte seine Herkunft auf das göttlich-königliche Paar zurückzuführen.

Diese drei teilweise doch recht unterschiedlichen Versionen seiner Geschichte führen zu einer großen Frage:

Ist Lia Fail überhaupt der „echte“ Krönungs- oder Schicksalsstein?

Oder ist nicht doch eher der Stone of Scone im Krönungsstuhl der britischen Könige der wahre Krönungsstein?

Es gibt einiges, was laut P.W.Joyce in seinem Buch The Wonders of Ireland für diese Theorie spräche. Die allgemein bei den gälischen Stämmen in Irland und Schottland üblichen Krönungssteine waren nämlich vergleichsweise klein und halbwegs tragbar, so wie eben der Stone of Scone mit seinen Maßen von circa 70 x 40 x 30 Zentimetern und 152 Kilogramm Gewicht.

Der säulenförmige Lia Fáil aus Tara dagegen ist etwa 3, 60 Meter hoch und hat einen Durchmesser von etwa 60 Zentimetern. Es wäre denkbar unbequem oder viel eher unmöglich, während einer Krönungszeremonie darauf zu stehen oder zu sitzen.

Außerdem lokalisiert die mittelalterliche Literatur den Lia Fáil in einem anderen Grabhügel von Tara und nicht an dem Ort, wo er tatsächlich steht. So kommt P:W.Joyce zu dem Schluss, dass die heute als Lia Fáil bekannte Steinsäule erst in den 1820er Jahren errichtet wurde, und zwar zu Ehren der in der Rebellion von 1798 gefallenen Kämpfer…

Der echte irische Lia Fáil sei aber auch nie aus Irland fort nach Schottland gebracht worden, sondern ruhe vermutlich gut verborgen und vergraben im Erdboden irgendwo nahe der Stelle, wo die mittelalterliche Literatur ihn verortet.

Hill of Tara bei Sonnenaufgang in der Vogelperspektive

Hill of Tara © macmillan media/Tourism Ireland

Doch wie dem auch sei – die Besucher der als Lia Fáil bekannten Steinsäule in Tara kommen trotz allem auf ihre Kosten. Die erhöhte Position bei der Säule gewährt an schönen Tagen nämlich einen grandiosen Ausblick „über die halbe grüne Insel“, wie mancher behauptet…

 

 

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Über den Autor

Monika Dockter

Als Schriftstellerin bedeutet Irland für mich Inspiration in ihrer schönsten Form. Ich finde diese Inspiration in den Worten begnadeter irischer „Storyteller“, zwischen den verschlungenen Wurzeln einer uralten Eiche und auf der Brücke über einen Bach, dessen Wasser vom Torf so braun ist wie der Ginster am Ufer gelb…
Für die gruene-Insel.de zu schreiben betrachte ich als einmalige Gelegenheit, etwas von der für mich so faszinierenden Atmosphäre dieses Landes weiterzugeben – und zwar an eingefleischte Irlandfans ebenso wie an solche, die genau das einmal werden wollen.

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